Es ist eines dieser Urteile, die man sonst nur aus Amerika “kennt”: Weil ein Rentner beim Rasenmähen fröhlich jodelte, und damit seine muslimischen Nachbarn im Gebet störte, wurde er von einem Grazer Gericht zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt.
So jedenfalls berichtete es die Kronen Zeitung diesen Sonntag:
Das Leserforum unter dem Artikel musste mittlerweile geschlossen werden, weil „gegen die Netiquette verstoßende Postings überhandgenommen“ hätten. Ein Euphemismus, der in der Regel andeutet, dass die Moderation mit dem Löschen strafrechtlich relevanter Kommentare nicht mehr nachkam.
Doch wenn die Krone ihre Foren schließt, blüht ihre Saat in anderen erst auf. Manche dort haben Herrn G. dann sogar angerufen und ihm finanzielle Unterstützung für seinen Kampf gegen das Urteil angeboten. Doch das wolle er nicht annehmen, berichteten die Anrufer — und das hat einen guten Grund…
Es gibt nämlich gar kein Urteil. Doch der Reihe nach:
Der Freitag
Helmut G. mähte an einem Freitagnachmittag auf seinem Grundstück in Graz den Rasen. „Und weil ich so gut gelaunt war, hab ich dazu gejodelt und ein paar Lieder angestimmt“, erzählt der Pensionist.
Herr G. dürfte ein überaus fleißiger Rasenmäher und Jodler gewesen sein, deutet man unter Verweis auf die Unschuldsvermutung bei jenem Grazer Gericht an, das den Fall verhandelt hat.
Fast ein ganzes Jahr lang, von 2009 bis Sommer 2010 habe er regelmäßig an Freitagen, immer zur Gebetszeit seiner Nachbarn, den Rasen gemäht und dabei „fröhlich“ gejodelt. Oder auf andere kreative Art das Gebet seiner Nachbarn lautstark gestört und verhöhnt, heißt es sinngemäß in den erhobenen Vorwürfen. Auch nachdem die Lautsprecherübertragungen der Gebete in den Garten längst eingestellt waren, soll er sein Treiben noch monatelang fortgesetzt haben.
Die Anzeige
Das passte seinen Nachbarn, gläubigen Moslems, gar nicht. […] Einige fühlten sich von dem rasenmähenden 63-Jährigen in ihrer Religionsausübung gestört – und zeigten ihn prompt bei der Polizei an.
Die Anklage erfolgte nicht auf Betreiben der Muslime. Nachdem die Polizei auf ihre Bitte mehrmals eingeschritten war, hielt sie es aber für nötig, die Vorfälle an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, musste diese dann von sich aus ein Verfahren einleiten. Aus den Akten gehe laut Gericht hervor, dass die Muslime stets auf eine einvernehmliche Lösung gedrängt hätten.
Das „Urteil“
[Das Gericht] verurteilte einen Pensionisten (63) […] „In der Begründung hieß es, mein Jodler habe wie der Ruf eines Muezzins geklungen“, schüttelt Helmut G. fassungslos den Kopf.
Es gibt keine Verurteilung und damit auch keine Urteilsbegründung. Das Strafverfahren wurde nach Diversion, gegen Zahlung einer Geldbuße, eingestellt. Für Herrn G. gilt daher bezüglich aller genannten Vorwürfe weiterhin die Unschuldsvermutung. Auch wenn er selbst der Diversion ausdrücklich zugestimmt hat.
Epilog
In einem Folgeartikel rühmte sich die Krone gestern, unser Land über die Grenzen hinaus mit ihrer „Exklusivstory“ lächerlich gemacht zu haben:
Vom „irren Jodel-Prozess in Österreich“ berichtet die „Hamburger Morgenpost“, „skurril“ nennt der deutsche „Express“ das umstrittene Urteil: Die „Steirerkrone“-Exklusivstory über den Moslem-Streit in Graz […] schlug Wellen bis über die Landesgrenzen hinaus!
Sogar Johannes B. Kerner wolle den Rentner jetzt in seine Show einladen, heißt es. Na, dann kriegen unsere Freunde vom BILDblog ja vielleicht auch noch was zu tun…
[Update 15:07] krone.at hat alle Artikel zu dieser Geschichte offline genommen (heute war kurzzeitig noch ein dritter Bericht über HC Strache hinzugekommen, der sich über das „Urteil“ empöre und anbot, dem Rentner die Strafe zu bezahlen.)
[Update 22:10] Der Standard zitiert Kobuk in seiner morgigen Printausgabe, worüber wir uns prinzipiell freuen. Allerdings hat der Rentner nicht „ein Jahr täglich“ beim Rasenmähen gejodelt, wie das Blatt schreibt, sondern „nur“ wiederholt an Freitagen die Gebete gestört und das — wie ebenfalls bei uns zu lesen ist — durchaus auch mit anderen kreativen Methoden.
[Update 23:30] Der Standard hat den Artikel tlw. korrigiert und lässt den Rentner nun nicht mehr täglich Rasenmähen.
[Update 4.12.] Die Obersteirischen Nachrichten (ON) verbreiten die Krone-Story noch am 2.12. ungeprüft in ihrem Leitartikel weiter. Er schließt mit der Frage: „Wie dumm sind wir Österreicher samt unseren Gesetzen eigentlich“…? (Danke an Wolfgang K. für den Hinweis)