Wir recherchieren nach,
damit ihr nicht müsst.

Antenne Kärnten interviewt ein ehemaliges SOS-Kinderdorf-Kind über Missbrauch. Das Gespräch ist freiwillig – zeigt aber, wie schnell der Opferschutz in den Hintergrund geraten kann.

„Du hast ja selbst als Kind auch Gewalt und Missbrauch erfahren. Magst du vielleicht kurz überfliegen, was da passiert ist? Wir müssen nicht im Detail reden, aber vielleicht magst du da noch ein bisschen was loswerden.“ Der Satz klingt harmlos. Doch er ist eine Aufforderung, im Radio vor tausenden Zuhörer:innen über den eigenen Missbrauch zu reden.

Das Gespräch führt eine Antenne Kärnten-Redakteurin mit B. On-air werden nur Ausschnitte daraus gespielt, online kann man es in voller Länge nachhören.

Als B. seine Gewalterfahrungen „überfliegen“ soll, ist bereits die Hälfte des Gesprächs vergangen. Man weiß schon viel über ihn: warum er ins SOS-Kinderdorf kam, welche Betreuerin gut zu ihm war und wer ihn psychisch misshandelt hat.

Dass das Telefonat ein Radio-Interview ist, daran muss man sich immer wieder erinnern. Es klingt eher wie ein vertrauliches Hintergrundgespräch – oder überhaupt so, als würden sich zwei Bekannte privat unterhalten.

B. spricht freiwillig über seine Erfahrungen, er hat sich von sich aus bei Antenne Kärnten gemeldet. Das bestätigt uns auch Programmchef Timm Bodner auf Anfrage.

Doch Medien tragen hier eine Verantwortung: Der Schutz der Betroffenen muss bei solchen sensiblen Themen Vorrang haben. Die Aufklärung darf nicht zur Inszenierung werden. Ist das gelungen?

Detailfragen können retraumatisieren

Die Falter-Enthüllungen rund um die Missbrauchsvorfälle im SOS Kinderdorf haben das ganze Land bewegt – und weite Kreise gezogen. Zu Beginn stand das SOS-Kinderdorf Moosburg in Kärnten im Fokus, mittlerweile weiß man, dass sich das Misshandeln und Vertuschen bis in nepalesische Kinderdörfer gezogen hat. Und dass es sich wohl nur um die Spitze des Eisbergs handelt.

Auch B. soll in Moosburg untergebracht gewesen sein, er ist heute ein erwachsener Mann. Seine Geschichte ist berührend und die Redakteurin bemüht sich, eine vertrauensvolle Situation zu schaffen. Mehrmals unterstreicht sie mit einem „Es tut mir leid“ ihr Mitgefühl. Doch obwohl sie ihrem Interviewpartner versichert, man müsse „nicht im Detail reden“, wird sehr viel im Detail geredet.

Als B. zum Beispiel den Kinderarzt Franz Wurst erwähnt, der 2022 wegen sexueller Nötigung Minderjähriger verurteilt wurde, hakt die Redakteurin nach. Ob er selbst Opfer geworden sei oder ob er sich noch habe retten können, bevor im Arztzimmer etwas Ärgeres passiert, fragt sie B.

Dass im Gespräch so auf Details eingegangen wird, sieht auch die Opferhilfeorganisation Weißer Ring kritisch. „Das birgt die Gefahr der Retraumatisierung – für ihn, aber auch für andere Gewaltopfer, die vielleicht zuhören“, sagt uns Susanne Kammerhofer, die dort in der Opferhilfe tätig ist.

Schlampige Anonymisierung

Ein weiteres Problem ist die Identifizierbarkeit von B. Die Redaktion verändert zwar den Vornamen, die Stimme wird allerdings nicht anonymisiert. „Durch die echte Stimme und die vielen Details ist er leicht identifizierbar, auch wenn man ihn nur über zehn Ecken kennt“, gibt Kammerhofer zu Bedenken.

Und dann nennt ihn die Redakteurin zum Schluss des Gesprächs noch bei seinem wirklichen Vornamen – eine Unvorsichtigkeit, die erst nach unserem Hinweis korrigiert wird.

Sowohl im deutschen als auch im österreichischen Presse– bzw. Ehrenkodex ist festgehalten, dass die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.

B. selbst nennt im Gespräch mehrere Personen namentlich. Keine:r von ihnen war zuvor öffentlich bekannt. Er spricht zwar sehr reflektiert über deren Verhalten, beschreibt letztlich aber Misshandlungen. Diese Vorwürfe können im schlimmsten Fall zu Verleumdungsklagen führen.

Wir haben bei Antenne Kärnten nachgefragt, ob man sich dieses Problems bewusst war. Programmchef Bodner verweist auf eine „intensive Nachbesprechung“: Ja, die Namen hätten akustisch anonymisiert gehört. „Das werden wir auch nachholen.“

„Viele unterschätzen, was danach kommen kann“ 

Wir halten an dieser Stelle noch einmal fest: B. wollte freiwillig mit Antenne Kärnten sprechen. Es gab keinen Druck, keine Anfragen oder Überredungen. So schildern es uns die Verantwortlichen – und das hebt auch Kammerhofer vom Weißen Ring positiv hervor: „Er wollte aus seiner Opferrolle aussteigen und selbst erzählen. Das ist etwas Gutes.“

Kammerhofer weiß aus ihrer Erfahrung aber auch: „Viele unterschätzen, was danach kommen kann.“ Sie erzählt von Druck aus dem familiären und Bekanntenkreis oder vom Arbeitgeber. Und vom Backlash, der über Kommentare im Internet losgetreten werden kann.

Einen Vorgeschmack gibt schon das Facebook-Posting von Antenne Kärnten, in dem B. zitiert wird. Die Kommentare sind nicht nur verständnisvoll; einige wollen B.’s Erfahrungen offensichtlich kleinreden. Sollte ein Medium jemanden, der zuvor nichts mit der Öffentlichkeit zu tun hatte, auf so etwas vorbereiten?

Betroffene brauchen einen klaren Rahmen

„Das Gespräch war für mich wie eine ganze Woche arbeiten“, sagt B. am Schluss des Interviews und drückt damit aus: Über Traumata zu sprechen, ist extrem anstrengend. Man merkt das auch an anderen Stellen, etwa wenn B. vom „roten Tuch“ spricht, das diese Zeit für ihn darstellt.

Deshalb verweist der Weiße Ring in einer Aussendung auch auf die „besondere Sensibilität“, die Geschichten wie diese erfordern. „Mediale Aufmerksamkeit kann wichtig sein, wenn sie Betroffenen eine Stimme gibt – aber sie darf niemals zu neuer Belastung führen“, wird Geschäftsführerin Carline Kerschbaumer darin zitiert.

Wie Betroffene über ihre Erfahrungen sprechen möchten und ab wann es für jemanden belastend wird, ist ganz individuell. „Aber alles, womit sich die Person überrumpelt fühlt, kann triggern“, erklärt uns die Opferhilfe-Begleiterin Kammerhofer.

Bodner von Antenne Kärnten erzählt uns jedenfalls, dass sich der Interviewpartner das Gespräch selbst „schon mehrmals angehört“ habe – und er habe die Redaktion wissen lassen, dass es ihm jetzt besser gehe.

Einfühlsam, aber unvorsichtig

Trotzdem sei es wichtig, schon vorab klare Rahmenbedingungen zu schaffen, betont die Opferschutz-Expertin Kammerhofer. Dazu gehöre: Wo das Gespräch stattfindet, welche Fragen gestellt werden, ob Pausen oder ein Abbruch möglich sind.

Den Anschein von besonders viel Vorbereitung macht das Antenne Kärnten-Gespräch nicht. Nach etwa zwanzig Minuten schließt B. seine Erzählungen ab, die Redakteurin „hätte aber noch ein paar Fragen“. Zehn Minuten später ist es dann sie, die das Gespräch abbricht („Ich muss jetzt leider auflegen, es tut mir total leid.“).

Sie hoffe aber, dass sich „viele so wie du noch melden“, sagt sie. Nur wo, das bleibt unklar. „Sollten sich weitere Opfer bei uns melden, werden wir sie an die zuständigen Stellen weiterleiten“, versichert uns Programmchef Bodner.

Das Interview mit B. war einfühlsam, fast schon intim. Aber es war auch unvorsichtig. Die Chance, mit einem exklusiven Interview auf den aktuellen SOS Kinderdorf-Skandal aufzuspringen, wollte man sich vermutlich nicht entgehen lassen. Man hätte sich aber im Vorhinein genauer überlegen sollen, wie man den Opferschutz gewährleisten kann.


Der Schutz von Opfern und Angehörigen ist eine wichtige journalistische Verantwortung. Wir haben uns schon öfter damit beschäftigt. Damit wir das in Zukunft noch regelmäßiger machen können, suchen wir Mitglieder, die uns unterstützen – das geht ganz einfach unter kobuk.at/unterstützen

2024 hat die öffentliche Hand wieder großzügig Geld an Medien verteilt. Im Vergleich zu den Jahren davor waren die größten Profiteure erstmals nicht ausschließlich Boulevardmedien. Bei den Inseraten gibt es heuer eine Trendwende, die insbesondere den Boulevard sehr nervös macht.

Öffentliches Geld für Medien 2024

Welches Medium wie viel öffentliches Geld bekommt, ist ein durchaus beliebtes Thema in der Medienbranche. Es bieten sich auch regelmäßig Anlässe, leidenschaftlich zu diskutieren, sich zu wundern, oder zu empören. Nach dem Amoklauf in Graz gab es eine solche Debatte – ebenso, nachdem öffentlich wurde, dass der Exxpress heuer eine Förderung für Qualitätsjournalismus bekommt. Und gleich noch einmal, weil auch die ÖVP-nahe „Bauernzeitung“ Fördergeld erhalten hat. All das hat dazu geführt, dass Medienminister und Vizekanzler Andreas Babler die Förderstruktur „weiterentwickeln“ will.

Die Bundesregierung kürzt die Inserate. Die Gratiszeitungen Heute und Oe24 trifft das ganz besonders. Dass Medienminister Babler nun auch „Qualitätskriterien“ bei der Fördervergabe verankern will, macht ihn dort erst recht zum Buhmann.

Collage aus mehreren Schlagzeilen österreichischer Medien, die den Medienminister Andreas Babler kritisieren. Links Artikel aus Heute und Kronen Zeitung mit Titeln wie „Wie sich Medienminister bei Medien blamiert“ und „Babler schiebt Medien weiter auf lange Bank“. Daneben oe24 und Heute.at mit Schlagzeilen wie „Regierung zahlt 14 Mio. an Fake News“ und „Brutal-Kürzung bei Medien, aber 14 Mio. € an Insta & Co“. Ganz unten eine weitere oe24-Schlagzeile: „Regierung ruiniert Österreichs Medien“. Rechts unten das Logo von Kobuk!.

„Regierung ruiniert Österreichs Medien“, „Mega-Skandal: Regierung zahlt 14 Mio. an Fake-News“, Wie sich Medienminister bei Medien blamiert“ – in den Gratiszeitungen Heute und Oe24 hat man sich vergangene Woche besonders an Vizekanzler und Medienminister Andreas Babler abgearbeitet.

Während ihn Oe24 „höchstpersönlich zum Totengräber der heimischen Medien-Szene“ macht, attestiert Heute einen medienpolitischen „Babler-Blindflug“ – und wirft ihm sowohl „Speed kills“-Taktiken als auch ein „auf die lange Bank schieben“ vor.

Die Medienbranche steckt in einer Krise – und bei den beiden Gratiszeitungen hat man den Schuldigen bereits gefunden. Dabei nimmt man es mit Zahlen, Daten und Fakten nicht immer ganz so genau.

Es braucht jemanden, der Medien auf die Finger schaut. Kobuk macht das seit über einem Jahrzehnt – unabhängig, unideologisch, unermüdlich. Jetzt brauchen wir deine Unterstützung.

Clickbait, Kampagnen, Interessenskonflikte: Guter Journalismus ist in Gefahr. Medienhäuser müssen sparen und immer weniger Journalist:innen haben feste Jobs.

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Kobuk hält seit 2010 dagegen. Wir entlarven, was falsch läuft, wir erklären, warum. Wir knipsen den Scheinwerfer an und schauen hinter die Schlagzeilen.

Bis vor kurzem war Kobuk 100 % ehrenamtlich. Doch es gibt einfach zu viel zu tun. Deshalb haben wir seit April 2024 erstmals eine Redakteurin angestellt, die das aktuelle Medienmonitoring übernimmt und sich längeren Recherchen widmet. (Mehr Infos unter www.kobuk.at/transparenz)

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Woher kommt der Name Kobuk? Und was erzählt er uns über Zeitungen – damals und heute? Ein paar Antworten und eine Zeitreise – zu Ehren Helmut Qualtingers, der heute 97 Jahre alt geworden wäre.

Links: Helmut Qualtinger als „Herr Karl“ (1961). Credit: Shivaelektra. Rechts: Helmut Qualtinger als „Kobuk“ (Wiener Kurier, 02. Juli 1951).

Um den Ur-Kobuk zu finden, müssen wir ins Jahr 1951 reisen. 1951 – das heißt Nachkriegszeit, mitten in der Wiederaufbauphase. Österreich war noch Besatzungsgebiet, die Pressefreiheit eingeschränkt und die Zeitungslandschaft stark politisch kontrolliert. Da gab es zum Beispiel die sozialistische Arbeiterzeitung, das ÖVP-nahe Kleine Volksblatt oder die Österreichische Zeitung, Organ der Sowjets.

Konkret wollen wir zum 2. Juli 1951 reisen. In diesen Tagen beschäftigte das Land wieder einmal eine Typhus-Epidemie, ständiger Begleiter der Nachkriegszeit, und eine neue Milchrayonierung. „Rayoniert“ wurden Lebensmittel in Wien, wenn sie knapp wurden. Für Milch galt nun: Ein halber Liter pro Kind, dann die Kranken, dann die restliche Kundschaft.

Auf Grönland gibt es keine Pinguine

Zwischen Meldungen über neue Typhus-Toten und Berichte über eine neue Weltordnung findet sich an diesem Tag aber auch eine etwas skurrile Nachricht:

Ein Eskimodichter in Wien: Auf Einladung des Österreichischen PEN-Klub trifft der Eskimodicher Kobuk am 3. Juli in Wien ein. Der 1889 in Iviktut (Grönland) geborene Autor ist Verfasser mehrerer Romane, deren eigenartige Verbindung von magischem Realismus und arktischer Mystik ihn auch über die Grenzen seiner engeren Heimat hinaus bekannt gemacht haben.

Weltpresse, 2. Juli 1951, S.5

Die Ankunft dieses Vertreters „arktischer Mystik“ kündigte neben der Weltpressezuvor Sprachrohr der britischen Besatzung, zu dem Zeitpunkt SPÖ-nah – auch der Wiener Kurier an, der unter dem Einfluss der US-Besatzung stand.

Der „Trans-Terror“ ist der neue Islamismus, die österreichische Justizministerin kennt die „Antifa“ nicht und Bluesky ist eine Brutstätte für Gewaltfantasien: Jenseitige Behauptungen und Falschmeldungen sind wir vom Exxpress gewohnt, aber seit der Ermordung von Charlie Kirk hat sich auch dort etwas verschoben. Die Seite arbeitet sich an Feindbildern ab und lässt vor allem die eigene politische Agenda Geschichten erzählen – auch wenn die mit der Wahrheit wenig zu tun haben.

Schuld ist der „Trans-Terror“

Schon die erste Meldung des Exxpress zur Ermordung von Charlie Kirk, Aktivist der neuen amerikanischen Rechten, war bezeichnend: „Linke schießen auf US- Aktivist und Trump-Unterstützer“ hieß es zunächst, wie das APA-Archiv, das mittlerweile gelöschte Facebook-Posting und nicht zuletzt die URL des Artikels bestätigen. Der Titel wurde nachträglich geändert.

Trotzdem bleibt das Narrativ auch zwei Wochen später bestehen: „Die Linken“  haben den Tod von Kirk zu verantworten. Sie seien es, die den „Trans-Terror“ decken würden. Eine entsprechende Analyse liefert Nius, Exxpress-Partnermedium und Mehrheitseigentümer, der Exxpress übernimmt sie. Darin wird eine „Trans-Fanatiker“-Bewegung erfunden, die systematisch Gewalt gegen Kritiker ausübt. Für ein solches Phänomen gibt es keine Belege – deshalb stützt sich die Autorin auch auf Einzelfälle, in denen Täter Transpersonen waren und suggeriert damit eine Kausalität. „Was einst die islamistische Blitzradikalisierung war, ist heute immer öfter eine Online-Radikalisierung im militanten Trans-Milieu“, so das Fazit.

Das Titelbild zum „Trans-Terror“ zeigt übrigens Menschen, die 2023 „eine von Rechtsextremen angefeindete Dragshow schützen. Sie sind weder trans noch Terroristen“, klärt der Spiegel-Journalist Anton Rainer auf Bluesky auf.

Es ist auch ein Zeichen für die „abgründige Stillosigkeit der linken Meute“ (ExxpressKolumnist Heinzlmaier), wenn Kirks Tod in den Augen des Exxpress nicht ausreichend betrauert wird. So notiert sich die Plattform, dass Bundespräsident Alexander van der Bellen vor fünf Jahren zwar eine Reaktion auf den Tod von George Floyd und die „Black lives matter“-Bewegung verfasst hat, sich bei Kirk aber nicht öffentlich geäußert hat. Dass im EU-Parlament keine Schweigeminute für Kirk genehmigt wurde, ist für das Blatt selbstverständlich ein „Skandal“.

„Babler in den USA – aber trotzdem kein Kommentar zu Charlie Kirk“ ist dem Exxpress sogar eine Schlagzeile wert. Geschrieben hat den Artikel übrigens eine Autorin, die dort laut LinkedIn-Eintrag gleich eine Doppelrolle in „Sales und Redaktion“ innehat.

Am 1. September berichtete die Financial Times über GPS-Sabotage im Flugzeug von Ursula von der Leyen. Der Flugradar-Dienst Flightradar24 widerspricht und sieht keine Unregelmäßigkeiten. Die Fakten beinhalten viele Grau-Töne, die in den meisten Medien zwischen Alarmismus und „Fake News“-Rufen untergehen.

Screenshot eines „Financial Times“-Artikels mit der Schlagzeile: „Ursula von der Leyen’s plane hit by suspected Russian GPS interference“. Im Text wird erwähnt, dass die Landung mit Papierkarten erfolgt sei. Darunter ein Foto von Ursula von der Leyen, wie sie eine Flugzeugtreppe hinuntersteigt. Oben steht in weißer Schrift: „Stimmt die Geschichte?“ Unten rechts das Kobuk!-Logo.

Henry Foy ist Chef des Brüssel-Büros der Financial Times. Er hat Ursula von der Leyen zuletzt auf ihrer viertägigen Tour durch Osteuropa begleitet. Am Sonntag, den 31. August, sind sie von Warschau nach Bulgarien geflogen. Aber im Landeanflug auf die Stadt Plovdiv im Zentrum des Landes passierte etwas Merkwürdiges: „(…) we lost altitude. We came down to praying for landing, and then all of us on board realised that we were circling the airport. We had been for a while“, erzählt Foy zwei Tage später im hauseigenen Podcast FT News Briefing.

Kann das wirklich sein? Dieses putzige selbstfahrende Polizeiauto in China soll automatisch auf Menschen schießen können? Ja, jedenfalls, wenn es nach dieser Schlagzeile im Feuilleton der FAZ geht: „Das selbstschießende Polizeiauto aus China“.

Alt Text

faz.net, 30.08.2025

Dort heißt es:

In China wurde jetzt das erste selbstschießende autonome Polizeiauto vorgestellt. […] das neue autonome Polizeiauto guckt freundlich wie ein alter VW-Bus, hat allerdings eine blinde Frontscheibe, hinter der keine Menschen sitzen, sondern Kameras – und automatische Waffen.

Der Autor fragt sich, ob noch ein Mensch die Schießanweisung geben müsse und auch sonst bringe die „Verwandlung des öffentlichen Raums in ein Kriegsgebiet voller autonomer Waffensysteme […] einige Fragen mit sich“, die dann auch in schönster deutscher Angstlust ausführlich erörtert werden.

In der Kulturberichterstattung von Standard und Presse verschwimmen die Grenzen zwischen Werbung und Redaktion. Dieselben Autor:innen bewerben Kulturveranstaltungen in bezahlten Anzeigen – und rezensieren diese danach im redaktionellen Kulturteil. Kooperationen werden zudem nicht immer ausreichend gekennzeichnet.

Die Salzburger Festspiele und die Wiener Festwochen gehören zu den bedeutendsten Kulturereignissen Österreichs – und sie investieren erhebliche Summen in sogenannte Medienkooperationen mit Standard und Presse. Solche Kooperationen gibt es schon seit mehreren Jahren. Der Salzburger Festspielfonds gab letztes Jahr 266.675 Euro für Werbung aus, über 80.000 Euro davon flossen zur Presse. Die Wiener Festwochen GesmbH kommt sogar auf 421.285 Euro. Knapp 100.000 Euro davon gehen für Werbung an den Standard.

In den letzten Wochen hat die Kronen Zeitung eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die suggerieren, dass Milliarden an EU-Geldern an „fragwürdige“ Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fließen – und das angeblich „ohne Kontrolle“. Doch hinter der Berichterstattung steckt eine Kampagne, die mehr auf Stimmungsmache als auf sachliche Kritik setzt.

Es ist Freitag, der 25. Juli. In der Kronen Zeitung heißt es selbstbewusst: „Nachdem die ‚Krone‘ Ungereimtheiten bei EU-Milliardenförderungen für NGOs aufgezeigt hat, geht es Schlag auf Schlag: Strafanzeigen in Luxemburg, München und Wien.“ Am selben Tag lädt die FPÖ zu einer Pressekonferenz. Das Thema: „Steuergeschenke für Klima-Lobbyisten – es reicht!“.

Die Krone wird darüber nicht berichten – sie muss es auch nicht. Denn was die FPÖ dort sagt, hat die Zeitung längst geschrieben; in der aktuellen Ausgabe und auf ihren Print- und Onlineseiten der vergangenen Wochen.

Die Juli-Kampagne der Kronen Zeitung. Diverse Screenshots und Zeitungsausschnitte.

Insgesamt bringt die Krone im Juli acht Geschichten zu den vermeintlichen „Ungereimtheiten“ der NGO-Förderpolitik. Dabei zeigen sich Muster, die typisch für Kampagnenjournalismus sind: einseitige Quellenauswahl, emotionale Sprache, wiederholte Stereotype und ein klar erkennbares Ziel: zivilgesellschaftliche Organisationen zu delegitimieren.