Wir recherchieren nach,
damit ihr nicht müsst.

In den letzten Wochen hat die Kronen Zeitung eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die suggerieren, dass Milliarden an EU-Geldern an „fragwürdige“ Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fließen – und das angeblich „ohne Kontrolle“. Doch hinter der Berichterstattung steckt eine Kampagne, die mehr auf Stimmungsmache als auf sachliche Kritik setzt.

Es ist Freitag, der 25. Juli. In der Kronen Zeitung heißt es selbstbewusst: „Nachdem die ‚Krone‘ Ungereimtheiten bei EU-Milliardenförderungen für NGOs aufgezeigt hat, geht es Schlag auf Schlag: Strafanzeigen in Luxemburg, München und Wien.“ Am selben Tag lädt die FPÖ zu einer Pressekonferenz. Das Thema: „Steuergeschenke für Klima-Lobbyisten – es reicht!“.

Die Krone wird darüber nicht berichten – sie muss es auch nicht. Denn was die FPÖ dort sagt, hat die Zeitung längst geschrieben; in der aktuellen Ausgabe und auf ihren Print- und Onlineseiten der vergangenen Wochen.

Die Juli-Kampagne der Kronen Zeitung. Diverse Screenshots und Zeitungsausschnitte.

Insgesamt bringt die Krone im Juli acht Geschichten zu den vermeintlichen „Ungereimtheiten“ der NGO-Förderpolitik. Dabei zeigen sich Muster, die typisch für Kampagnenjournalismus sind: einseitige Quellenauswahl, emotionale Sprache, wiederholte Stereotype und ein klar erkennbares Ziel: zivilgesellschaftliche Organisationen zu delegitimieren.

Einige österreichische Privatsender trennen nicht ordentlich zwischen redaktionellen Beiträgen und Werbung. Teilweise könnte das sogar gegen das Gesetz verstoßen. Die Medien selbst sehen keinerlei Problem – und das ist Teil des Problems.

In der Sendung „Das Magazin“ vom 9. Dezember 2024 erscheint auf KurierTV ein Beitrag zu tiergestützter Therapie. In knapp vier Minuten erfahren wir, wie autistische Kinder beispielsweise durch den Umgang mit Pferden in ihrer Entwicklung gefördert werden. Was wir nicht erfahren: Der Sender erhält für diesen Beitrag vom Internetanbieter Kabelplus 3.880 Euro. Dafür wird wohlwollend erwähnt, dass Kabelplus erst kürzlich an das Therapiezentrum gespendet hat. „Damit nicht nur zu Weihnachten möglichst viele Kinderaugen leuchten“, wie es im Beitrag heißt. Was aussieht wie unabhängiger Journalismus, ist in Wirklichkeit gekaufte Berichterstattung. Eine Kennzeichnung als Werbung fehlt, und das ist leider kein Einzelfall.

Der „Kiss-Cam-Skandal“ zeigt nicht nur, wie unbedacht sich manche Menschen in der Umgebung leinwandgroßer Live-Kameraeinblendungen verhalten können. Der Fall ist auch ein Paradebeispiel dafür, wie fehleranfällig Medien als Reizverstärker sozialer Netzwerke arbeiten. In Österreich ist nach tagelanger Empörung zumindest leise Selbstkritik zu hören.

Rund 80 Online-Artikel zum „Kiss-Cam-Skandal”

Coldplay spielen im Gillette Stadium bei Boston ihren Song „Yellow“, das Publikum leuchtet in Handylichtern. Die „Kiss Cam“ zoomt auf ein umarmendes Paar, das daraufhin in Panik gerät. Noch am selben Abend explodiert das Internet.

Was auf Kamera passiert ist, müssen wir an dieser Stelle nicht mehr erklären – den 14-sekündigen Clip hat inzwischen wohl jeder und jede gesehen. Vielmehr interessiert uns: Wie berichten Medien über das Social-Media-Phänomen? Zwischen Fake News, Spekulationen und Voyeurismus scheint eines zu stimmen: Was mit ausreichender Kraft von Social Media in „echte“ Medien schwappt, muss sich dort nicht mehr legitimieren.

„Sie können sich ja vielleicht vorstellen, dass die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und auch über meine Person in den letzten Wochen nicht spurlos an mir vorbeigegangen ist.“ Frauke Brosius‑Gersdorf sitzt am Dienstagabend im ZDF-Studio bei Markus Lanz. Es ist das erste Mal, dass sich eine Verfassungsrechtlerin, die als Kandidatin für das deutsche Bundesverfassungsgericht gehandelt wird, in einer Talkshow gegen falsche Vorwürfe rund um ihre Person verteidigen muss.

Frauke Brosius-Gersdorf im ZDF-Studio bei Markus Lanz

Grund dafür ist eine gezielte Kampagne in den Tagen und Wochen zuvor: Brosius‑Gersdorfs juristische Einschätzungen aus der Vergangenheit wurden skandalisiert, sie persönlich diffamiert. Das Vorgehen weckt Erinnerungen und zeigt, wie wenig alternative Medien tun müssen, um öffentlichkeitswirksam zu werden – und wie sehr sie sich dabei auf etablierte Medien verlassen können. Eine Chronologie:

Die größte Tageszeitung des Landes verkündete am Dienstag einen scheinbaren Skandal: EU-Millionen würden „versickern“; Österreichische Organisationen „ohne Kontrolle“ kassieren.

Ist das eine Titelseite wert? „Hier versickern die EU-MIllionen“

Der Exxpress steht dem Klimawandel, nun ja, skeptisch gegenüber. Das haben wir unter anderem schon hier aufgeschrieben. Nachdem der neue Sachstandsbericht zum Klimawandel erschienen ist, hat es uns daher nicht überrascht, dass einer der Exxpress-Autoren gleich loszog, um diesen zu relativieren:

Screenshot des Exxpress-Artikels „Panikmache: Österreich erwärmt sich schneller als die Erde – doch der Grund ist banal“ mit dem Label "Irreführend"

„Panikmache: Österreich erwärmt sich schneller als die Erde – doch der Grund ist banal“ lautet also der Titel dieses als Analyse getarnten Kommentars.

Der Artikel ist deshalb interessant, weil der Autor darin mit korrekten Fakten arbeitet – daraus jedoch irreführende Schlüsse zieht und ein verzerrtes Gesamtbild vermittelt. Was ist also dran an der „Panikmache“?

In den Stunden und Tagen nach dem Amoklauf in Graz zeigten einige Medien eine besonders unrühmliche Seite – geprägt von Spekulationen, verstörenden Bildern und unangebrachten Besuchen.

Am Dienstag erschütterte ein Amoklauf an einer Grazer Schule das ganze Land. Während Einsatzkräfte versuchten, die Lage unter Kontrolle zu bringen und Angehörige betreut wurden, übertrafen sich viele Medien in medienethischen Verfehlungen: Sie spekulierten über Motive, zeigten Aufnahmen der Opfer und veröffentlichten identifizierendes Material. Ein Überblick über die schwerwiegendsten Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten der letzten beiden Tage.

Klicks über alles – das Problem mit dem Opferschutz

Screenshots von Berichten, die mit Videos Clickbaits generieren wollen. Dazu gehören Kronen Zeitung, Auf1, Exxpress und Servus TV.

Glaubt man den Schlagzeilen, ist die „Gen Z“ eine besonders kuriose Generation: Sie freut sich mehr für ihre Haustiere als für ihre Partner und ist sogar zu ängstlich, um auswärts zu essen. Unsere Analyse zeigt: Oft sind Gen Z-Meldungen substanzlos – mit aufgebauschten Umfrageergebnissen und fragwürdigen Quellen.

„Hat die Gen Z Angst davor, im Restaurant eine Bestellung aufzugeben?“ Das fragte Ende 2023 Der Standard online. Die kuriose Schlagzeile bezog sich auf eine Umfrage einer britischen Restaurantkette, wonach sich viele Menschen beim auswärts Essen überfordert fühlen – aus Sorge, das Falsche zu bestellen. Die New York Post kommentierte diese sogenannte „Speisekartenangst“ süffisant: „Add dining out to the growing list of things Gen Z can’t do like the rest of us.“ Das Problem an der Geschichte: Sie ist belangloser Clickbait – und damit in guter Gesellschaft, wenn es um Artikel über die Generation Z geht.

Die Umfrage wird nämlich überinterpretiert: Zwar fühlten sich mehr Angehörige der Gen Z unwohl im Lokal als ältere Generationen. Doch insgesamt gab die Mehrheit der Befragten an, „menu anxiety“ zu haben – unabhängig vom Alter. Die Quellenlage ist undurchsichtig: In keinem Medium, das die Meldung aufnahm, hat Kobuk einen Link zur Umfrage gefunden. Wie seriös die Umfrage ist, bleibt damit unklar. Und wenn wir schon von Quellen sprechen: Als weiteren „Beleg“ für die Relevanz der Speisekartenangst mussten auf derstandard.at Anekdoten aus dem Diskussionsportal Reddit herhalten.

Das ist kein Einzelfall. Wenn Medien Artikel über vermeintliche Eigenschaften einer Generation schreiben, sind diese oft Clickbait mit mangelhafter Quellenlage. Wir haben uns durch den Dschungel der Generationen-Berichterstattung geschlagen und dutzende solcher Artikel gelesen. Die junge „Generation Z“ (Jahrgang 1995 bis 2009) steht besonders im Fokus. Kaum ein Lebensbereich wird ausgespart, der sich nicht an den angeblichen Eigenarten der Gen Z aufhängen lässt – vom Schlaf- und Datingverhalten bis hin zur Arbeitsmoral.

Bildcollage mit Screenshots aus Medienberichten über die Generation Z

Dünne Quellenlage

Viele der Artikel haben keinerlei journalistisches Gewicht.

Österreichs Medien sind voll mit PR-Fotos aus dem Österreichischen Bundeskanzleramt. Sie vermitteln uns Bilder unserer Politiker*innen, die nicht die Realität widerspiegeln. 

Unsere Politker*innen sind super. Sie sind sympathisch, sie erklären uns die Welt, sie haben die Krisen im Griff. Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man in Österreich eine Tageszeitung aufschlägt. Von den Bildern strahlen sie uns entgegen, adrett und kompetent.

 Foto Propaganda Medien

„Österreichische Kinder verlernen deutsche Sprache“ titelt die Gratiszeitung Heute am 29. März. In der Sub-Headline heißt es weiter: „In vielen Kindergärten kommen deutsch-sprechende Kinder laut einer Studie unter die Räder.“ Ein „Kindergarten-Schock“ sei das. Angeblich, berichtet Heute weiter, würden laut einer aktuellen Studie österreichische Kinder in Kindergärten mit mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Kindern vergessen, wie man Deutsch spricht.

Das Problem dabei: Die besagte Studie lässt diesen Schluss überhaupt nicht zu.

"Heute" missbraucht Kindergarten-Studie