Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Das Kreuzfahrtschiff „Allure of the Seas“ musste unter einer dänischen Brücke durch und es war knapp, darin sind sich alle einig. Nicht ganz so einig ist man sich allerdings darüber wie knapp. Den Start machte am 30.10.2010 der Internetauftritt des Schweizer Fernsehens:

Die Brücke ist nur gerade 30 Zentimeter höher als die «Allure of the seas» (deutsch: Faszination der Ozeane). Eine äusserst ruhige See war deswegen notwendig, um unter der Brücke hindurch zu fahren.

T-online.de ließ sich wenig später ebenfalls nicht lange bitten:

Erst der so genannte „Squat-Effekt“ macht’s möglich. Dieser saugt das Schiff tiefer ins Wasser, je schneller es fährt. Mit Höchstgeschwindigkeit – rund 24 Knoten – muss der Luxusliner diese technische Meisterleistung auf sich nehmen. Zwischen Schornsteinspitze und der Unterkante der Brücke bleiben dann nicht viel mehr als rund anderthalb Meter.

Am Tag darauf würdigte auch heute.at die Leistung des Kapitäns:

Mit nur VIER Zentimeter Platz nach oben brachte der Seebär den Luxusliner unter einer dänischen Brücke hindurch.
[…]
Aufgrund der rauen See beträgt der Abstand zwischen den Schloten und der Unterseite der Brücke nur vier Zentimeter, sagt Hans Nilsen, Offizier einer örtlichen Marine-Einrichtung.

Von 30 Zentimeter bei ruhiger See über rund anderthalb Meter bei Höchstgeschwindigkeit und vier Zentimeter bei rauer See, es kommt wohl auf den Standpunkt an, oder etwa doch auf die zu Grunde liegende Agenturmeldung oder gar die falsche Übersetzung eben dieser? Diese Vermutung kommt auf, wenn man sich die Berichterstattung im englischsprachigen Raum ansieht, welche sich vor allem auf eine Associated Press – Meldung stützt, so zum Beispiel auch die Washington Post:

Hans Nilsen, an official at the Korsoer Naval Station, said the passage went fine, with about a 20-inch (50-centimeter) gap and 1.5 inches (4 centimeters) to spare to the safety margin […]

Für Interessierte: Der Kapitän oder „Seebär“, wie ihn heute.at nennt, erklärt die technischen Details und den Ablauf der Aktion im Zuge eines Videos auf der Website des Schiffes, ganz ohne sich dabei in Zentimeter zu verstricken.

Eigentlich wollte ich dem geneigten Leser den Kalauer im Titel ersparen, in diesem Fall passt er aber wirklich hervorragend: So publizierte das Gratisblatt am 28. Oktober einen Artikel, der nahezu wortgleich bereits mehr als sechs Monate vorher in Standard, Presse, News oder den OÖN zu lesen war.

Update

„Österreich“ hat diese Meldung sogar noch einen Tag später als „Heute“ veröffentlicht und dabei mit argen Logikproblemen zu kämpfen: So informiert man im Aufmacher, dass nur jeder 7. den Aufnahmetest schafft (ergo 14%), im Fließtext schreibt man jedoch später: „Der Aufnahmetest lässt 40% der Bewerber scheitern“. Danke an meinen Kollegen Yilmaz Gülüm für den Hinweis.

Das angesehene Wirtschaftsmagazin Forbes bezifferte die Baukosten auf knapp zwei Milliarden Dollar und nannte es „The World’s First Billion-Dollar Home„. Seither geht die Geschichte um die Welt: Vom indischen Milliardär Mukesh Ambani, der sich in Mumbai ein Luxus-Wohnhaus bauen lässt. 27 Stockwerke auf 173 Metern, für Baukosten zwischen ein und zwei Mrd. Dollar — je nach redaktioneller Zweiteinschätzung der Forbes-Schätzung.

Und einige haben gleich zwei Tipps abgegeben, sicher ist sicher:

„Nach Schätzungen soll das Domizil rund zwei Milliarden Dollar gekostet haben.“ (ORF)

„Kostenpunkt: 800 Millionen Euro.“ („Österreich“, 15.10.2010)

„Zwei Milliarden Euro Baukosten“ („Österreich“, Printausgabe 27.10.2010)

„Die Kosten für den Bau werden auf 1,5 bis zwei Milliarden Dollar geschätzt.“ (Kurier)

„750 Millionen Euro will er sich das Bauwerk kosten lassen.“ (SZ)

„Das rund 750 Millionen Dollar [sic!] teure Gebäude“ (Der Spiegel, 23.11.2007)

„Knapp zwei Milliarden Dollar lässt sich Ambani den Bau kosten.“ (Der Spiegel, 19.5.2008)

„Der [sic!] Wert seines Hauses, das Ambani diesen Monat beziehen will, schätz [sic!] die britische Tageszeitung „Telegraph“ auf umgerechnet 717 Mio. Euro.“(Financial Times Deutschland, Bild 6)

„Das Haus wird weltweit das erste Wohnhaus sein, das eine Milliarde Dollar gekostet hat“ (Wikipedia)

Nur die engl. Wikipedia fällt aus der Reihe:

„According to Reliance Industries [d. Konzern des Milliardärs], Antilia cost between US$50–70 million to build.“ (Wikipedia)

Vermutlich haben wir alle gerade das selbe Problem: die Summen sind schlicht zu groß, um eine klare Vorstellung zu haben, was damit möglich ist, und was nicht. Darum erst eine kleine Leserkalibrierung…

Das im Bild rechts ist der Burdsch Chalifa in Dubai. Mit 828 Metern und 162 Stockwerken das derzeit höchste Gebäude der Welt. Baukosten: ca. 1,5 Milliarden US-Dollar. (Da hat sich der reichste Mann Asiens bei seinem Häuschen aber ganz schön über den Tisch ziehen lassen.)

Zurück zu Forbes. Die beriefen sich bei den zwei Milliarden ursprünglich auf den Marketingchef einer am Bau beteiligten US-Firma, mussten aber kurz darauf einräumen, dass dieser seine Aussage „zurückgezogen“ habe. Einen Monat darauf zitierte die New York Times einen Sprecher Ambanis. Dieser beschwichtigte, die Baukosten lägen in Wahrheit bei ca. 50 bis 70 Millionen Dollar.

Auch wenn es sich dabei eher nicht um den schlüsselfertigen Vollausbau handelt, bleibt dennoch eine gewaltige Differenz zu den kolportierten Summen. Das sieht man auch beim Wall Street Journal so und versucht dort — vorerst nur im Blog und noch ohne Beleg — gleich mit mehreren Legenden aufzuräumen:

„Die Einweihungsfeier findet nicht vor dem 28. Nov. statt, das Haus wird keine 600 Bediensteten haben […] und das Gebäude ist keine Milliarden wert (würde man es jedoch in einzelne Appartements aufteilen und jeden Quadratmeter zum gängigen Preis verkaufen […], dann könnte der Gesamtbetrag in diese Höhe gehen).“

Die klassische Verwechslung von Herstellungskosten und höchst theoretischem Verkaufswert also?

Ein findiger User im SkyscraperCity-Forum hat nachgerechnet und noch eine ganz andere Erklärung gefunden, warum der Forbes-Informant völlig korrekt die Summe von „zwei Milliarden“ genannt haben könnte: 50 Millionen Dollar entsprachen damals exakt zwei Milliarden … indischen Rupien.

Foto: (cc) Joi Ito

Gestern kursierte eine APA-Meldung durch die österreichischen Medien, der zufolge Cherie Blair eine Armbanduhr ihres Mannes Tony verkauft haben soll. Es handelte sich dabei um ein Geschenk von Silvio Berlusconi. Interessant wird es bei der Angabe zur Marke:

Nach Angaben italienischer Medien wurde die Lucman Marc Titanium-Uhr um 98 Pfund (111,8 Euro) zugeschlagen.

Eine „Lucman Marc Titanium-Uhr“ gibt es jedoch nur in der Agenturphantasie, gemeint war ein Modell der Uhrenserie Locman Mare.

Die Meldung schafft es ziemlich wortgleich auf orf.at, oe24.at, diepresse.com und wirtschaftsblatt.at.  Die nationale Nachrichtenagentur der Schweiz (SDA) bringt die Story auch (z.B. auf bluewin.ch). Abgesehen davon, dass man statt in Euro in Franken rechnet, sind die SDA- und APA- Meldungen ident. Inzwischen hat es die Meldung bis in die Slowakei geschafft. Welche Agentur hier von der anderen abgeschrieben hat, bleibt offen.

Die Agenturen, beziehen sich auf „Angaben italienischer Medien“. Der Ursprung der Story liegt allerdings in England: The Daily Telegraph brachte die Story als Erstes. Italienische Medien verweisen ebenfalls darauf  (z.B. hier). Eine „Lucman Marc“ gibt es jedoch nur in Österreich, Schweiz und Slowakei.

Die Auflösung der Story ganz kurz: Es handelt sich um diese Auktion bei eBay. Laut The Sun verbirgt sich hinter dem eBay Pseudonym 7711cb die britische Ex-First Lady Cherie Blair.

Danke an @Stefan_Ferras, der uns den Hinweis zu dieser Story geliefert hat.

Am 12.10. erschien im „Standard“ und auf DerStandard.at eine (vermutlich von der APA kommende) Meldung unter dem Titel:

Fahrraddiebstahl: Wien unter Top drei in Europa

Das deutsche Online Portal Geld.de hatte in einer Studie die Zahl der Fahrraddiebstähle in 60 Städten in Deutschand, Österreich und Schweiz erhoben.

Screenshot derStandard.at

Screenshot derStandard.at

Die drei deutschsprachigen Länder wurden also kurzerhand zu ganz Europa gemacht und Wien dann gleich aufs Stockerl gehievt.

Auch die Aussage, Wien befände sich unter den Top 3 der untersuchten 60 Städte im deutschsprachigen Raum befindet kann nicht unkommentiert werden lassen: So ist es wenig verwunderlich, dass die Anzahl der Fahrraddiebstähle neben Hamburg und Berlin in Wien am größten ist, sind diese drei Städte doch auch die drei größten im deutschsprachigen Raum.

Bei einem genaueren Blick zeigt sich, dass bei der Zahl der Diebstähle umgerechnet auf die Einwohnerzahl Münster, Bern und Basel die Statistik anführen.

Die Kleine Zeitung war im Stande, die Statistik korrekt zu interpretieren und berichtet über Graz auf Platz sieben der Liste.

Von der Standard-Headline „Wien unter Top drei in Europa“ bleibt jedoch nicht viel über.

Die APA schreibt von einem neuen Rekordhoch des Goldpreises und alle schreiben ab. Seit 2001 steigt der Goldpreis, worüber sich die Medien immer wieder aufs Neue erstaunen. So wurde auch am 6.10. brav vom neuesten Rekordhoch berichtet. Ein Blick auf Wikipedia zeigt, dass der Goldpreis 1980 schon um einiges höher war als heute. Die Grafik wurde mit inflationsbereinigten Zahlen erstellt – was die einzig sinnvolle Art ist, Preisentwicklungen über längere Zeiträume zu vergleichen. Von einem Rekord ist also keine Rede. Inflationsbereinigt war die Feinunze Gold 1980 an der New York Commododities Exchange schon 2312,94 US-Dollar wert, das sind satte 58,9% mehr als der vielfach als Rekordhoch berichtete Stand von 1364,60 US-Dollar vom 7.10.2010.

(Grafik: Wikipedia, gemeinfrei)

Dass Morgenstund nicht immer Gold im Mund hat, sei vor allem den FrühaufsteherInnen unter den JournalistInnen verziehen. Am 28. Oktober titelte DerStandard.at um 06:12 Uhr in der Rubrik „Inland“:

„Gehaltserhöhung für Beamte um mindestens 1,03 Prozent“.

Darüber hätten sich vor allem besser verdienende BeamtInnen gefreut,  für die es mit der Gehaltserhöhung prozentuell ein wenig schlechter aussieht, wie auf DerStandard.at ergänzt wurde:

„Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erhalten ab 1. Jänner sozial gestaffelt eine Gehaltserhöhung zwischen 0,85 und 2,09 Prozent. Im Durchschnitt beträgt die Erhöhung 1,03 Prozent“.

Im Durchschnitt braucht man um diese Uhrzeit wahrscheinlich mindestens zwei Kaffee, um zu erkennen, dass hier die Mindest-Gehaltserhöhung mit der Durchschnitts-Gehalterhöhung gleich ist. Daher auch alle Nachsicht der Redaktion, die den Titel nach zwei Stunden auf „Beamte bekommen 115 Millionen mehr“ korrigierte.

Danke Wolfgang P. für den Hinweis!

„Heute“ und Heute.at befassen sich mit der angeblich niedrigen Zufriedenheit heimischer Lehrlinge und beziehen sich dabei auf die neueste Handelsumfrage der GPA-djp Bundesjugendabteilung. Abgesehen davon, dass sich die Studie nicht um alle Lehrlinge, sondern hauptsächlich um Handelslehrlinge dreht, sind die genannten Zahlen über weite Strecken falsch.

Es beginnt schon in der zweiten Zeile des Artikels:

Fast 70 % der Lehrlinge müssen zum Teil unbezahlte Überstunden leisten, ihr Lohn ist vielen zu gering.

Laut der Studie haben 70% der befragten Lehrlinge (insgesamt 1531 retournierte Fragebögen) schon Überstunden leisten müssen. Dies deutet jedoch nicht auf den Regelfall hin.

85 % der Lehrlinge haben keine Chance die Reifeprüfung zu absolvieren.

Laut Studie können jedoch nur 24,7% der Befragten nicht an der Berufsmatura teilnehmen.

Sie werden in ihrer Arbeit zu viel gefordert, 69 % leisten Überstunden, 42% sogar freiwillig – zum Teil ohne Bezahlung.

Ganz so stimmen diese Zahlen nicht, 70% der Befragten haben schon einmal Überstunden leisten müssen und davon 41,7% freiwillig. Kurz nachgerechnet leisten somit 29,2 % der befragten Lehrlinge freiwillig Überstunden.

Denn fast jeder zweite Lehrling hat Angst, seine Stelle zu verlieren, obwohl 55% der Befragten angaben, nicht den Wunschberuf zu lernen.

Insgesamt haben 22,9% der befragten Lehrlinge, und somit nicht jeder zweite, Angst ihre Lehrstelle zu verlieren und nicht 55% sondern 45,7% der Befragten lernen nicht in ihrem Wunschberuf.

Ganz so hoffnungslos schaut die Zukunft unserer Lehrlinge doch nicht aus.

Viel Ausdauer und vor allem Zeit brauchen die WienerInnen, wenn es laut der „Heute“ ums Pendeln geht: 

27 Minuten sitzen die Wiener durchschnittlich in den Öffis auf dem Weg zur Arbeit, so eine aktuelle Studie. Hin und retour ergibt das satte 270 Stunden pro Monat oder 10 Tage pro Jahr – Fahrten in der Freizeit nicht mitgerechnet.

"Heute" am 22. Oktober 2010, S. 15

„Heute“ lässt die WienerInnen somit 56 Prozent des Tages in Öffis verbringen: 270 Stunden im Monat sind bei 20 Arbeitstagen im Monat 13,5 Stunden reiner Arbeitsweg pro Tag.

Rechnet man mit 223 Arbeitstagen pro Jahr, so ergibt eine tägliche Arbeitsfahrt von 54 Minuten hin und retour 200 Stunden oder 8,36 Tage Fahrzeit im Jahr – also deutlich weniger als die monatliche Fahrzeit laut „Heute“.

Um welche „aktuelle“ Studie es sich handelt, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Mehr als 3000 SMS senden und empfangen Jugendliche im Monat- also etwa 100 am Tag. Zu diesem Ergebnis kommt eine Experten-Studie.

Dieses interessante Ergebnis war in der Rubrik „Österreich Heute“ in „Heute“ vom 19.10. zu lesen. Die Tageszeitung beruft sich dabei jedoch keienswegs auf das SMS-Nutzungsverhalten von österreichischen Jugendlichen. Die zitierte Studie von Nielson Wire hat nämlich lediglich Daten von U.S-Jugendlichen erhoben und ausgewertet.

Vielleicht sind die Jugendlichen hierzulande jenen in den USA ja ähnlich, könnte man sich bei „Heute“ gedacht haben. Blöd nur, dass am 27.9. der örtliche Mobilfunkbetreiber tele.ring die Ergebnisse einer heimischen SMS-Studie veröffentlich hat. Demnach liegt der Durchschnitt bei den Österreichern zwischen 14 und 27 bei lediglich 15,3 SMS täglich. Der „Heavy User“, also jeder Zehnte, verschickt 30 SMS pro Tag und damit immernoch deutlich weniger als „Heute“ berichtet.

Immerhin bringt „Heute“ die Ergebnisse der überraschenden Studie, wenn auch in der falschen Rubrik. Ganz so überraschend ist die Nielson Wire Studie aber eigentlich gar nicht. Denn schon im April veröffentlichte Pew Internet eine Studie, deren Ergebnisse sich inhaltlich mit jenen der Nielson Wire Studie fast gänzlich decken. So steht bereits dort, dass jeder dritte US-Jugendliche am Tag über 100 SMS sendet. Der Unterschied zur Nielson Wire Studie: Hier spricht man von gesendeten und empfangenen SMS.