Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Ahnungslose „Österreich“-Leser werden derzeit auf Österreichs Straßen fotografiert. Wer sein Bild am nächsten Tag in der Zeitung findet, kann bis 14:30 Uhr telefonisch seinen Gewinn anmelden und bekommt 100 Euro. „ÖSTERREICH lesen und Weihnachtsgeld gewinnen“ nennt sich das dann.

Nach 14:30 Uhr erlischt das Anrecht auf den Gewinn, das Foto jedoch bleibt. Wie steht es da mit der Privatsphäre? Wir haben Martina F.*, eine unfreiwillige Teinehmerin des Gewinnspieles angeschrieben und gefragt:

Die Fotografin stand am Ende der Rolltreppe am Karlsplatz. Ich habe gemerkt, dass ich fotografiert wurde. Es war jedoch nicht ersichtlich, dass die Dame von der Österreich Zeitung ist. Sie hat mich auch nicht angesprochen. Besonders erfreut, war ich nicht, als ich mich in der Zeitung gesehen habe, aber die €100 sind (…) ja auch nicht schlecht.

Weiß zufällig jemand, ob eine Klage nach §78 UrhG mehr einbringt als €100?

*Name auf Wunsch geändert

Irlands Finanzkrise beherrscht die Schlagzeilen in ganz Europa, immer öfter ist jedoch auch von der sogenannten Pferdekrise die Rede. Wie Standard, SN, Kleine Zeitung, Presse, OÖN oder auch die Süddeutsche berichten, droht bis zu „20.000 herrenlosen Pferden“ in diesem Winter ein qualvoller Hungertod, da sich ihre Besitzer die Haltung – als direkte Folge der Wirtschaftskrise – nicht mehr leisten könnten. Die meisten beziehen sich dabei auf einen Artikel von Spiegel Online, dem zufolge sogar „mehr als 20.000 Pferde auf der Kriseninsel umherirren“ sollen.

Die herzzerreißende Story hat allerdings gleich mehrere Haken: Weder sind Stray Horses ein neues Phänomen – der „Independent“ berichtete z.B. schon 2005 davon, also lang vor der Finanzkrise, noch konnten wir die Zahl von 20.000 Pferden irgendwo in irischen Medien finden.

Im April 2009, als die Zahl vermutlich erstmals auftaucht, und zwar auf BBC News, wird ein Tierschützer noch mit „20.000 Pferden, die niemand will“ zitiert, von streunenden ist noch nicht die Rede. Im Juni wird sie in einem Interview der Deutschen Welle zur „Zahl, die möglicherweise stimmen könnte“ (was auch immer das heißen mag) und im Oktober sind es im Guardian dann „möglicherweise besitzerlose Pferde“. Spiegel Online schreibt von Schätzungen irischer Tierschützer zu herumstreunenden Pferden, was u.a. in der Kleinen Zeitung zur Tatsache wird: „Wie Spiegel Online berichtet, irren (..) etwa 20.000 Pferde herrenlos umher.“ Stille Post par excellence.

Eines haben alle Berichte gemein: Die Quelle ist immer die – spendenfinanzierte – Dubliner Tierschutzorganisation DSPCA, meist in Form ihres Sprechers, Jimmy Cahill. Deren Mutterorganisation ISPCA auf unsere Frage nach einer verlässlichen Quelle:

There are no definitive numbers on horses abandoned in Ireland, our Inspectors have brought in 13 horses in 2007, 16 in 2008, 23 in 2009 and 41 so far this year.

Nicht nur irische Medien und Websites irischer Behörden schweigen sich zu dieser Pferdekrise erschreckenden Ausmaßes aus, auch die Tierschützer selbst wollen sie also nicht explizit bestätigen.

Offenbar wollte man der doch abstrakten Finanzkrise ein konkretes Gesicht geben. Schade, dass dies nicht mit einer Geschichte geschehen ist, deren Fakten stimmen. Oder, um es in den Worten eines in Irland lebenden Spiegel.de-Users zu sagen:

Mit der Wirtschaftskrise hat das nichts zu tun und wenn hier 20 000 herrenlose Pferde rumlaufen würden, wäre das sicherlich schon jemandem aufgefallen…so einen Unsinn habe ich wirklich lange nicht mehr gelesen!

Das krisengeschüttelte Irland und Haustiere, dieser verlockenden Kombination konnten offenbar auch Qualitätsjournalisten nicht widerstehen, trotz mangelhafter Quellenlage.

Update: Spiegel Online entschärfte den Artikel nach unserer Veröffentlichung und fügte diesen Absatz hinzu:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand die Zwischenzeile „Mehr als 20.000 Pferde sollen auf der Kriseninsel umherirren“. Dies ist falsch. Tatsächlich geht es um 20.000 Pferde, die nach einer Schätzung der Tierschutzorganisation DSPCA nicht mehr benötigt werden, weil viele Betriebe mit bis zu 200 Pferden seit dem Crash auf dem irischen Pferdemarkt kein Geld mehr einbrächten.

Die Fußballer von Torpedo Ennsquai schicken uns eben ein, Zitat, „Kleinod der lokalen Berichterstattung“ aus der Steyrer Rundschau:

Wir freuen uns immer über Hinweise und vor allem, dass sie immer zahlreicher werden. Wer es mit einer Blutgrätsche (Zitat Torpedo-Website) probiert, muss aber früher aufstehen:

Netter Versuch! 🙂 Und danke an Hans für die Recherche.

Krone bunt Cover vom 19. September

Am 19. September erschien in der „Krone bunt“ die 32 Seiten umfassende Serie „Wirtschaftsstandort Wien“. Darin präsentierten sich zwölf Unternehmen und erzählten von ihren Zukunftsvisionen. Wie jetzt aus einem Bericht des PR-Ethik-Rates (PDF) hervorgeht, handelte es sich bei der Beilage um bezahlte Einschaltungen, also um Werbung. Diese war jedoch in keinster Weise als solche gekennzeichnet. Ein klares Vergehen der Kennzeichnungspflicht nach § 26 Mediengesetz, so der PR-Ethik-Rat.

Der Bericht hält weiter fest, dass der Tarif für eine Doppelseite 30.000 Euro betrug.  Der verantwortliche des Projekts, Chefredakteur und Herausgeber der Krone Christoph Dichand, war zu keiner Stellungnahme gegenüber dem Ethik-Rat bereit.

Ein brisantes Detail: Auch ein Interview mit Bürgermeister Michael Häupl unter dem Titel „Der Wähler soll auf Nummer sicher gehen“ findet sich in der Beilage. Was für den/die LeserIn wie ein journalistisch geführtes Gespräch wirkt, war allem Anschein nach die Folge bezahlter Einschaltungen.  Erschwerend kommt hinzu, dass die Veröffentlichung drei Wochen vor den Wiener Gemeinderatswahlen erfolgte.

Häupl äußert sich zu Fragen wie: Was kann ein Bürgermeister konkret beitragen, damit in einer Großstadt wie Wien Lebensqualität erhalten bleibt oder sich im besten Fall sogar steigert? Oder: Womit kann Wien als Wirtschaftsstandort gegenüber anderen Städten punkten? Fragen, die zu einer Werbebotschaft geradezu einladen. Der Standard äußerte zur „Krone bunt“ Ausgabe bereits im September Bedenken.

Der seit 2008 existierende PR-Ethik-Rat sprach damit erstmals eine öffentliche Rüge aus, nachdem sie im März 2010 (PDF) bereits für mehr Transparenz bei bezahlten Berichten appeliert hatten. „Dieses Vergehen ist so alt wie die Branche selbst, aber in den letzten Jahren hat sich das Problem dramatisch verschärft“, so die stellvertretende Vorsitzende Renate Skoff gegenüber Kobuk . Da es sich beim PR-Ethik-Rat um ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle handelt, kann sie die Krone mit keinen weiteren Sanktionen belegen.

Abschließend wird in dem Bericht festgehalten:

Den Branchenusancen entsprechend geht der PR-Ethik-Rat davon aus, dass bezahlte Produkte wie die gegenständliche Beilage allen Beteiligten vor Drucklegung zur Freigabe vorgelegt werden.(…) Die Glaubwürdigkeit der gesamten Kommunikationsbranche steht auf dem Spiel.

Bei den beteiligten Firmen handelt es sich um: Erste Bank Group, Austrian Airlines, A1 Telekom, Siemens, Vienna Insurance Group, PORR, Flughafen Wien, Signa Holding, REWE Österreich, Austria Trend, Hotels (Ruefa, Verkehrsbüro), Wiener Städtische und Donau Versicherung.

Ein ähnlicher Fall wurde auf Kobuk bereits reblogged: Berichterstattung wie vereinbart

Update:

Der PR-Ethik Rat stellte uns freundlicher Weise einen der betroffenen Artikel zur Verfügung. So sieht Werbung im journalistischen Gewand aus:

Schon am 18. November wusste der österreichische Boulevard ganz genau, wann das britische Prinzenpaar heiraten würde. Doch knapp daneben ist auch vorbei. Wobei eigentlich 70 Tage (für „Österreich“) und 106 Tage (für „Heute“) eh nicht so knapp sind.

Das kann schonmal passieren, wenn man sich auf Quoten von Buchmachern verlässt. Auch bemerkenswert: „Heute“ wusste schon am 18.11. exklusiv, dass drei Milliarden Menschen (43% der Weltbevölkerung) bei der Hochzeit zusehen werden.

ORF Kärnten schreibt in einem Artikel und in einem Teaser dazu auf der ORF-Startseite, Muslime wären die drittgrößte Glaubensgemeinschaft in Kärnten. Kann das stimmen?

Hier die Antwort:
diagramm Kopie
Quelle: Wikipedia bzw. Statistik Austria.

Während die Aussage „drittgrößte Gruppe an Gläubigen“ wörtlich genommen nicht falsch ist (Konfessionslose sind eher keine Gläubigen), ist sie doch zumindest grob irreführend.

(Danke für den Hinweis an Marlene)

Eine Headline, wie sie auch Peter Bartels kaum besser hingekriegt hätte:

Danke an Quadres für dieses humoristische Highlight.

Tiroler Tageszeitung vom 5.9.2010

Über 13 Millionen verkaufte Mercedes in nur einem Monat erscheinen gar viel, selbst für China. 13,4 Verkäufe, wie die Zahl eigentlich zu lesen wäre, dürften wiederum für den armen Käufer von 0,4 Autos wenig zufriedenstellend sein.

Tatsächlich hat Mercedes-Benz weltweit im August 2010 „nur“ 81.000 PKWs an den Kunden gebracht. Davon wurden 13.400 Stück in China (inkl. Hongkong) ausgeliefert.

Ein herzliches Dankeschön für den Tipp geht an H.N.!

Wenn sich (angeblich) jeder dritte Zehnjährige online pornographisches Material zu Gemüte führt, was liegt näher, als einen Bericht dazu mit dem Bild eines rauchenden Mannes, der sich Kinderpornographie ansieht, zu illustrieren?


Gesehen auf Oe24.at.

(Quelle)