Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Symbolbild

„Österreich“ ist keine Zeitung, sondern ein Scripted-Reality-Format. Wie sonst wäre so etwas noch journalistisch zu erklären? In Wien wurde eine Frau auf die Gleise einer U-Bahn gestoßen (zum „Glück“ nicht die U6, sonst gäb’s jetzt am Boulevard kein Halten mehr). Das Fellner-Blatt bringt dazu auf der Titelseite und im Artikel groß ein Foto des Opfers:

Allerdings wurde das Gesicht der Frau verpixelt und mit Augenbalken versehen. Das ist doppelt so viel Anonymisierung wie die Opfer von „Österreich“ üblicherweise erwarten dürfen. Und das hat einen „guten“ Grund: Es handelt sich bei der fürsorglich verfremdeten Dame nämlich nicht um das Opfer. Sondern um dieses Model aus der Getty-Bilderdatenbank („Österreich“ hat das Foto gespiegelt).

Im Bildtext zum Gesicht lügt „Österreich“ noch:

Das Opfer.
Nelly W. (36) …

Nur wenn man sich (oder das Bild) halb auf den Kopf stellt, kommt man der Wahrheit einen Schritt näher:

 Symbolfoto

Und das war nicht das erste Mal. Aber immerhin verschont „Österreich“ so die wahren Opfer. Also lassen wir das Blatt lieber in seinem Getty-Methadon-Programm.

(Mit Dank an Carola für ihren scharfen Blick.)

 

Was in seriösen Redaktionen spätestens bei Wiederholung ein Kündigungsgrund wäre, hat bei der Kronen Zeitung offenbar Methode: Das Hundefoto war nicht aus der Ukraine, sondern aus Bosnien und acht Jahre älter als behauptet. Das Foto von Königin Beatrix war nicht aus Innsbruck, sondern aus London und zehn Jahre älter als von der „Krone“ behauptet.

Und der Panzerwagen auf dem folgenden Bild…

"Polizeieinsatz bei Hausbesetzung in der Lindengasse"



… der steht in Wahrheit nicht in der Lindengasse, bei einer Hausräumung im November 2011, sondern in der Mariahilfer Straße, wegen eines Banküberfalls mit Geiselnahme im Februar 2007:

BAWAG-Überfall mit Geiselnahme, 27. 2. 2007


Aber hey, das ist dieselbe Stadt, im selben Jahrfünft. Und dem Nummernschild nach sogar derselbe Panzerwagen wie dreieinhalb Jahre später in der Lindengasse. Was macht man denn als Journalist, wenn das Foto von der Geiselnahme besser zur Hausbesetzung passt als das von der Hausbesetzung?

… besser keine Zeitung.

(Mit Dank an Oliver Cleven für den Hinweis und Scan!)



PS: Das war übrigens jene Geiselnahme, bei der schon ein anderes Boulevardblatt in die Annalen der österreichischen Zeitungsgeschichte eingegangen ist (oder in etwas, das ähnlich klingt). Seit dieser „Sternstunde“ darf „Österreich“ — vom OGH bestätigt — Hyänenjournalismus nachgesagt werden:

Wie wurscht „Österreichs“ Journalisten die Grenze zwischen Gefundenem und Erfundenem ist, merkt man oft auch speziell im Kleinen. An der Geschichte dieses Ausreißers zum Beispiel:

"Österreich", OÖ-Ausgabe, 27.5.2011, S. 17

Neben der Headline ein anonymisiertes Foto des Jungen, mit der Bildunterschrift:

Kleiner Armin verirrte sich.

Stutzig macht den geübten Medienbeobachter (Vorsicht, Eigenlob) nur, dass der Bub auf dem Bild heult. Hat der Erwachsene, der ihn dann im Kindergarten ablieferte, etwa erst noch ein Foto von dem Kleinen, mitten in seiner größten Not, geschossen und es an „Österreich“ verhökert?

Nein. Es musste wieder mal, wir erinnern uns an „Österreichs“ faulsten Lehrer, einfach nur ein Bild her. Und dem Leser kann’s doch egal sein, ob das nun wirklich dieser Armin ist oder ein x-beliebiges US-Model aus der Getty-Bilderdatenbank (dort natürlich ohne Augenbalken). Und was hätten’s, statt zu lügen, denn auch drunter schreiben sollen … „Symbolkind“ etwa?

Man kann’s auch positiv sehen: Immerhin hat „Österreich“ diesmal keine Persönlichkeitsrechte verletzt.

nɘƨɘiᗡ !nɘƨɘl ƚʇiɿʜɔƨlɘǫɘiqƧ ni ʜɔuɒ ƚzƚɘႱ ƨwɘИ ɘlǫooᎮ
ʜɔuɒ ƨɒb ,ƚɒ.ᖷЯO ʇuɒ bliᙠ mɘniɘ ɿiw nɘʞnɒbɿɘv qqiT
.bɿiw ƚɘbnɘwɿɘv ɘnɿɘǫ ɿʜɘƨ nɘǫnuƚiɘƸ-ɘnilnO nɘʜɔƨƚuɘb ni

Bahnhof? elgooG hilft weiter. Oder ein Spiegel.

Eine Ansichtssache:




„Österreich“ weiß:

Neuerdings setzt aber auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf „schuss- und stichsichere Westen“, wie er im ÖSTERREICH-Gespräch berichtet.

Und schreibt zur Abbildung rechts:

Kugelsichere Weste
So eine Weste trägt Strache nun bei Großveranstaltungen unter seinen Hemden…

Nun, das darf bezweifelt werden.  Auf der Seite des Spezialanbieters, von dem „Österreich“ das Foto hat, wird das Modell mit den ausgeprägten Protektoren als „Oberkörper-Schlagschutz“ geführt. Also hieb-, aber nicht schuss- und stichfest. Und am Körper getragen, sieht ein ähnliches Modell dann so aus — das Michelin-Männchen lässt grüßen. Sollte Strache tatsächlich so ein Gerät unter Hemd und Anzug kriegen, dann schafft er auch den Bürgermeister.

PS: Ein korrektes Symbolbild hätte sich zwei Modelle weiter unten auf der Herstellerseite gefunden.

Ausgerechnet die in Sachen Urheberrecht besonders wehleidige Verlagsbranche bedient sich zunehmend im Internet, wenn es darum geht, die eigenen Artikel zu illustrieren.

Screenshot: Heute.at

Aktuelles Beispiel dürfte diese Illustration eines Artikels auf Heute.at sein. Sie zeigt nicht nur das falsche Flugzeug, eine Fokker 100 statt einer Dash-8, sie ist auch mit „© Flickr“ gekennzeichnet. Das Originalfoto trägt jedoch das Copyright von Florian Larcher, eines jungen Innsbrucker Fotografen (der sich auf seinem Flickr-Profil verhandlungsbereit zeigt: „If someone need photos, please contact me.“). Was die Vermutung nahe legt, dass sich Heute.at einfach bedient hat.

Update: Der Fotograf bestätigt auf Anfrage: „Habe weder eine Einwilligung gegeben und gefragt wurde ich auch nicht.“ Ich habe Heute.at den Kontakt zu ihm vermittelt.

Update 2: Das Bild wurde inzwischen ausgetauscht.

Update 3: Der Onlinechef von „Heute“ nimmt in den Kommentaren Stellung.

Zugegeben, es ist nicht leicht mit Kobuk. Unverpixelte Bilder passen uns oft nicht und verpixelt ist’s dann auch wieder falsch. Aber der Reihe nach…

Das ist Österreichs faulster Lehrer:


(Screenshot: oe24.at)

Schon bemerkenswert. „Österreich“ hat ein Profi-Foto des Lehrers aufgetrieben, das nur in einer von 104 Wochen der vergangenen zwei Jahre entstanden sein konnte. Und das Beste: Kobuk hat dieses Bild auch ausfindig gemacht. Offenbar war der gute Mann, der sich für seine 53 Jahre beneidenswert gut gehalten hat, in einem seiner Nebenjobs auch Model für internationale Fotoagenturen. Warum „Österreich“ uns diese Sensation verheimlicht, bleibt ein Rätsel.

Irgendwie empfinde ich jetzt — im Gegensatz zu „Österreich“ — auch gar keine Skrupel mehr, den Lehrer auf dem Bild für unsere Leser zu enttarnen und nebenbei einen kleinen Fehler in der Schlagzeile zu korrigieren.

Das ist „Österreichs“ faulster Lehrer:


(Fotomontage: Kobuk)

PS: Die Agentur hat das Foto unter anderem mit dem Stichwort „retrosexuell“ beschlagwortet — wieder was gelernt.