Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.
Ich habe keine Ahnung, nach welchen Kriterien „Österreich“ entscheidet, den selben Tatverdächtigen mal mehr (gestern, online, Gesicht voll verpixelt), mal weniger (heute, online, Augen schmal verpixelt), mal gar nicht (heute, offline, s. Bild) zu anonymisieren.
Schlimmer noch: Ich fürchte, diese Ahnungslosigkeit teile ich mit der „Österreich“-Redaktion.
In einer Kurzmeldung im Bereich „Welt“ von oe24.at wird von einem Zirkusartisten aus Australien berichtet, der zwölf Frauen mit HIV angesteckt haben soll. Diese Nachricht wurde vermutlich von der australischen Seite Couriermail.com.au übernommen.
Dabei wurde offenbar nicht bedacht, dass in Österreich nach dem Mediengesetz die Unschuldsvermutung zu gelten hat, also der Text nach §7b (1) mit dem Beiwort „der mutmaßliche…“ zu versehen ist, da der mutmaßliche Täter noch nicht verurteilt ist.
Das ist aber nur die halbe Miete. Oe24.at schneidet einfach sein Portrait aus dem Bild aus und übernimmt es. Nach § 7a (1) MedienG werden hier noch zusätzlich „… die schutzwürdigen Interessen dieser Person verletzt…“. Hier ein Beispiel von n-tv.de wie der Artikel aussehen hätte können.
Zugegeben, es ist nicht leicht mit Kobuk. Unverpixelte Bilder passen uns oft nicht und verpixelt ist’s dann auch wieder falsch. Aber der Reihe nach…
Das ist Österreichs faulster Lehrer:
Schon bemerkenswert. „Österreich“ hat ein Profi-Foto des Lehrers aufgetrieben, das nur in einer von 104 Wochen der vergangenen zwei Jahre entstanden sein konnte. Und das Beste: Kobuk hat dieses Bild auch ausfindig gemacht. Offenbar war der gute Mann, der sich für seine 53 Jahre beneidenswert gut gehalten hat, in einem seiner Nebenjobs auch Model für internationale Fotoagenturen. Warum „Österreich“ uns diese Sensation verheimlicht, bleibt ein Rätsel.
Irgendwie empfinde ich jetzt — im Gegensatz zu „Österreich“ — auch gar keine Skrupel mehr, den Lehrer auf dem Bild für unsere Leser zu enttarnen und nebenbei einen kleinen Fehler in der Schlagzeile zu korrigieren.
Das ist „Österreichs“ faulster Lehrer:
PS: Die Agentur hat das Foto unter anderem mit dem Stichwort „retrosexuell“ beschlagwortet — wieder was gelernt.
Wie sehr sich der heimische Boulevard um den Identitätsschutz kümmert, haben wir bereits aufgezeigt.
„Heute“ veröffentlichte am 27.4. das Foto jenes Mannes, der dafür verurteilt wurde, im März 2009 eine Frau in Hernals ausgeraubt und erstochen zu haben. Sein Gesicht ist dabei deutlich erkennbar. Die Tat ist zweifelsohne schrecklich, aber auch ein Täter hat ein Recht auf Identitätsschutz. So besagt § 7a (2) des Mediengesetzes ganz klar, dass ein Verurteilter Recht auf sein eigenes Bild hat. Es darf nicht veröffentlicht werden, wenn dadurch schutzwürdige Interessen verletzt werden. Der Sinn dieses Gesetzes besteht darin, dass der Täter von einem Gericht und nicht zusätzlich von der Öffentlichkeit bestraft werden soll.
Dabei hätte man sich diesmal die korrekte Handhabung bei dem österreichischen Boulevardblatt abschauen können: Auf Krone.at wurde das Gesicht verpixelt.
Diese Überschrift findet man in der heutigen Ausgabe der Gratiszeitung „Österreich“. Anlassfall ist der Autofunfall des ORF-Betriebsrates Heinz Fiedler. Dabei wurde ein Kind so schwer verletzt, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Die Schuldfrage muss jetzt vor Gericht geklärt werden. „Österreich“ lässt aber sicherheitshalber keinen Zweifel an der Bösartigkeit von Fiedler. So heißt es schon im Lead:
ORF-Bonze mähte Kind um
Dazu passend beginnt der Text mit:
ORF-Betriebsratskaiser Heinz Fiedler ist ein Mann, der sich vor Auslagen die Frisur richtet und auch mit 67 Jahren noch an Ämter klammert, weil er gern im Rampenlicht steht.
Aber die heldenhafte „Österreich“ hat „das Geheimnis eines furchtbaren Unfalls gelüftet“. Das ist objektiver und ausgewogener Journalismus, wie er im Lehrbuch steht.
Es gibt Tage, da merkt man schon beim ersten Blick – es stimmt was nicht, auf dem Boulevard:
Mord, weil Mutter Internet verbot (Österreich, 15.4.2010)
Fernseh-Verbot als Mordmotiv! (Kronen Zeitung, 15.4.2010)
Werden komplexe Sachverhalte in Schlagzeilen gegossen, läuft meist einiges daneben. Allzu einfache Erklärungen, oft widersprüchlich und falsch dazu, sind aber noch der kleinste Kollateralschaden…
Es mag in manchen Redaktionen ungläubiges Staunen hervorrufen, aber jugendliche Opfer und Straftäter genießen vor dem Gesetz einen besonderen Schutz. Über sie dürfen keinesfalls Informationen veröffentlicht werden, die dazu führen, dass sie außerhalb des unmittelbar informierten Personenkreises (wieder)erkannt werden könnten. Es sei denn, das öffentliche Interesse (nicht zu verwechseln mit Neugier) überwöge.
Bei Namen ist noch einigermaßen unstrittig, wie’s geht. Der Familienname wird auf einen Buchstaben gekürzt und der Vorname, sofern nicht allzu ungewöhnlich, ist in der Regel nicht weiter problematisch. Bei Fotos hingegen verhält es sich nahezu umgekehrt. Je tiefer im Boulevard, desto öfter entsprechen die Verfremdungen einem Namen, der lediglich um einen Buchstaben gekürzt wurde.
Und es scheint ja wirklich nicht ganz einfach, hier eine allgemeine Regel zu finden. Viele glauben irrtümlich, ein schwarzer Balken über den Augen reiche. Andere meinen, das ganze Gesicht sei unkenntlich zu machen. Naja, und die ganz Naiven fragen sich, wozu überhaupt ein Foto…?
In Deutschland gibt es seit einem Urteil des LG Hamburg immerhin einen gewissen Orientierungsrahmen, wie korrekte Anonymisierung jedenfalls nicht aussieht. Das Gericht sprach einer Klägerin 25.000 EUR zu, weil sie trotz Pixelung erkennbar gewesen sei. Zitat aus der Urteilsbegründung:
Auf dieser [Aufnahme] sind zwar die Einzelheiten der Gesichtszüge der Klägerin infolge der „Pixelung“ nicht zu erkennen; deutlich zu sehen […] sind aber ihre Kopfform, Ohren, Frisur, Körperhaltung und ihre Kleidung.
(LG Hamburg, 20.10.2006 – 324 O 922/05)
Das LG Hamburg ist zwar berüchtigt für seine rigiden Entscheidungen im Medienrecht, aber dass seine Einschätzung durchaus etwas für sich hat, wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, wie österreichische Medien die Verdächtige im jüngsten Fall in etwa abgebildet haben:
Es handelt sich um nachgestellte Symbolfotos. Die Dame auf dem Bild ist definitiv unschuldig, vermittelt aber vielleicht einen Eindruck, warum „Anonymisierungen“ der gewählten Art nur bedingt zielführend sind.
Weitaus zielführender, wenngleich im negativen Sinne, waren da noch die zusätzlichen Angaben zu Umfeld und Person der mutmaßlichen Täterin:
- Die „Kronen Zeitung“, eher offline orientiert (s. Titelbild), brachte nicht nur das unverfror… unverfremdetste Foto der 14-Jährigen, sondern als Leserservice für Kriminaltouristen auch noch eine Aufnahme des Hauses, in dem die Tat geschah, samt Bezirk und Straßenname(!) in der Bildunterschrift gleich mit dazu. Dass Fotos von Nachbarin und Wirt die Geheimhaltung zusätzlich hintertreiben, ist da schon fast egal.
- „Österreich“, eher online verwirrt, stand dem kaum nach und zitierte gleich über Tage aus den „Hunderten Internet-Blogs“ [sic!] der mutmaßlichen Täterin. Reines Glück, dass Googeln der wörtlichen Zitate nicht auf ihr „geheimes Tagebuch“ [sic!] führt, da die Einträge in einer fremden Sprache verfasst wurden. Aber kein Grund aufzugeben. Zu den Zitaten veröffentlichte das Blatt auch noch zwei verschiedene Pseudonyme, die das „Internet-Mädchen“ [sic!] benutzt hatte — nur die Differentialdiagnostik per geeigneter Suchmaschine blieb noch dem geneigten Leser überlassen.
Natürlich wissen die Blätter, dass dieses Vorgehen wahrscheinlich ein gerichtliches Nachspiel haben wird. Die nachträglichen Zeilen- und Fotohonorare für die vermutlich gestohlenen und ohne Einwilligung veröffentlichten Inhalte, sowie eine angemessene Entschädigung für die Verletzungen der Persönlichkeitsrechte liegen bestimmt schon in der Portokasse bereit.
Foto: Mona L., Wikimedia (gemeinfrei)
..dass diese Zeitung von Menschen gemacht wird, die selbst in Villen leben und dennoch andere Menschen an den Pranger stellen, wenn diese sich erdreisten, zwar arbeits- und beinlos aber nicht obdachlos zu sein.
Übrigens wird die Zahl der akut Obdachlosen in ganz Österreich auf bis zu 2.000 geschätzt, „Heute“ übertreibt also um ein Vielfaches, wenn sie von 10.000 alleine in Wien schreiben.
„Heute“, 17. Februar. Via Michael L. auf Facebook.
Ihr Gesicht ist das Gesicht des iranischen Widerstands: Neda Soltani. Der gewaltsame und auf Video aufgenommene Tod einer jungen Frau hatte die ganze Welt berührt. Doch Neda Soltani ist nicht tot, sie wurde nur Opfer einer Verwechslung, eines journalistischen Fehlers.
Ein Fehler, der Neda nach Deutschland ins Exil trieb, und sie jetzt um ihr Bild kämpfen lässt. Mit wenig Erfolg. Die Ruhrbarone haben Neda getroffen und diese unglaubliche Geschichte vom Versagen der Medien aufgezeichnet.