In 13 Folgen bot das Corona Quartett auf ServusTV 2o2o „alternativen“ Expert*innen eine Bühne, deren Äußerungen von absurd bis fernab wissenschaftlicher Fakten rangierten. Nicht selten fand sich unter den vier Diskutierenden nur eine*e Vertreter*in des wissenschaftlichen Konsens zu COVID-19 wieder. ServusTV bot damit systematisch eine Bühne für jene, die die gesundheitlichen Gefahren der Pandemie nicht wahrhaben wollen.
Bereits die erste Folge des Corona-Quartetts am 20. September 2020 startete mit einem Voiceover, das von einem „äußerst niedrigen Niveau“ an Corona-Patient*innen in Krankenhäusern sprach– und zwar „seit Monaten“. Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt in Österreich „nur“ 341 Personen aufgrund einer Corona-Infektion im Krankenhaus. Der Wert hatte sich innerhalb eines Monats aber verdreifacht – am 20. August waren es noch 116 Personen. Wer das Grundkonzept einer exponentiellen Entwicklung begreift, der hätte spätestens damals schon wissen können, dass die folgenden Monate für die Spitäler extrem schwierig werden würden: Zwei Monate später, Ende November, waren fast 4.000 Spitalsbetten mit Covid-Patient*innen belegt.
Wie eine kaputte Schallplatte
Kaum eine Folge des Corona-Quartetts verging, ohne dass diverse Diskutant*innen – ähnlich einem lädierten Tonträger – dieselbe Message äußerten: COVID-19 sei so ähnlich wie die Grippe. Nicht nur Stammgäste sahen das so, sondern auch geladene Prominente. So sagte etwa Thomas Berthold, deutscher Ex-Fußballweltmeister und einmaliger Gast:
„Also wir reden nicht über die Cholera oder über Pest, wir reden über ein Grippevirus. (…) Leute, leichte Grippe, keine Angst, keine Panik – wir reden hier von einer Grippe!“ (Thomas Berthold, Folge 6, 25.10.20)
Die Zugspitze bei der Verharmlosung des Virus bildeten aber vor allem Sucharit Bhakdi, ein umstrittener pensionierter Mikrobiologe (zu ihm später mehr) und Stefan Homburg. Homburg ist ein deutscher Finanzwissenschaftler. Er hat einen Lehrstuhl an der Leibniz Universität Hannover inne; diese distanzierte sich jedoch bereits im Mai in einer Stellungnahme von seinen Aussagen zur Corona-Krise. Bhakdi wurde zu acht der dreizehn Folgen geladen, Stefan Homburg zu fünf – kein*e andere*r nahm so oft am Corona-Quartett teil.
Bhakdi verglich Corona nicht nur mit der Grippe, sondern ging noch weiter:
„Wenn Sie Menschen haben, die ihre normale Lebenserwartung bereits erreicht haben, darüber hinweg schon älter sind – und sie sind vorerkrankt – dann sind sie, ob das Grippe ist oder Corona ist oder Schnupfen, sind sie ungefähr gleich gefährdet.“ (Sucharit Bhakdi, Folge 8, 08.11.20)
Auch Homburg argumentierte ähnlich, denn „Corona ist so ähnlich wie Grippe und während man bei Grippe keinen Lockdown gemacht hat, braucht man es bei Corona auch nicht“.
Bereits im September sprach Bhakdi zudem von einem „Rückblick“, als sei die Pandemie bereits vorbei. Gerade einmal neun Tage später wurden mehr als eine Million COVID-Tote weltweit gemeldet. Mittlerweile sind es weit über zwei Millionen Todesopfer. Eine zweite Welle wollte er im Herbst nicht erkennen. Als die Wirtschaftspublizistin Ulrike Herrmann von angestecktem Personal in Krankenhäusern sprach, entgegnete er sogar: „Nein jetzt gibt’s keine. Es gibt überhaupt keine.“ Hinter einer steigenden Zahl an durchgeführten Testungen in Wien vermutete Bhakdi in einer früheren Folge eine „Labor-Pandemie“.
Bhakdi hatte auch einiges an dem Umgang mit der Quarantäne auszusetzen: Das Personal in Krankenhäusern solle nicht in Quarantäne geschickt werden: „Das ist das Problem, wenn Sie das tun dann schießen Sie sich selbst ins Bein und sagen ‘Au, ich kann nicht laufen‘“.
Und er sagte:
„Das bedeutet im Rückblick ist dieses Corona-Virus nicht hochgefährlich, nicht ein Killer-Virus und es gibt nichts, was dafürspricht.“ (Sucharit Bhakdi, Folge 1, 20.09.20)
Basierend auf dem europäischen Mortalitätsmonitoring Euromomo attestierte die AGES im Zeitraum von 19. Oktober bis 22. November 2020 eine Übersterblichkeit in Österreich, auch in den altersstandardisierten Sterberaten sind Abweichungen ab 19. Oktober sichtbar. Die Exzess-Mortalität wurde hauptsächlich bei den über 65-jährigen verzeichnet, es fallen also gewiss nicht alle Verstorbenen unter die von Bhakdi beschriebenen Personen, „die ihre normale Lebenserwartung bereits erreicht haben“.
„Wieder die Überlastung der Intensivstationen, die nie kommen wird, jedenfalls nicht deutschlandweit, nicht österreichweit. Wieder dieses exponentielle Wachstum, wo jeder weiß, alle Infektionswellen sind eben Wellen, wie schon der Volksmund sagt. Es ist eine Grippewelle und es ist nicht eine Grippe-Exponentialfunktion, die am Schluss die gesamte Menschheit dahinrafft.“ (Stefan Homburg, Folge 9, 15.11.20)
Wellen können sehr wohl exponentiell zu- oder abnehmen, das eine schließt das andere nicht aus. Aber der Ökonom zweifelte des Öfteren: Als der Leiter der Psychiatrie an der Uniklinik Ulm, Manfred Spitzer von steigenden Fallzahlen sprach, entgegnete Homburg: „Nur die Fallzahlen? Über PCR-Tests? Die diskutieren Sie? Und das nennen Sie Fallzahlen?“ Nach seiner Aussage, dass man ohne Test gar nichts von der Pandemie bemerken würde, ergänzte er immerhin selbstreflexiv „oder ist das zu provokant?“ Nein, das ist nicht provokant. Es ist schlicht Unsinn.
Es könnte auch morgen ein Meteorit einschlagen
Ob Lockdown, Quarantäne, Maskenpflicht oder Impfung: Die Regierungsmaßnahmen waren im Corona-Quartett häufig Thema. Der Grundtenor vieler Teilnehmer*innen war, dass diese übertrieben und nicht notwendig sind. Roland Tichy, deutscher Publizist und Ökonom und ebenso dreifacher Gast, bezeichnete die Maßnahmen in Deutschland gar als „Dramaqueen-Nummer“ der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die sozialen Einschränkungen aufgrund von Corona beschrieb er folgendermaßen:
„Ich würde es mal so auf den Punkt bringen: Wir machen aus Angst vor dem Tod Selbstmord gerade.“ (Roland Tichy, Folge 12, 06.12.20)
Auch Homburg ließ wenig Zuspruch für die politische Handhabung erkennen, er sei gegen Abstand und Feierverbote und ganz allgemein dagegen, „dass wir jetzt das Leben beenden, weil wir nie mehr sterben wollen“. Präventive Maßnahmen gegen eine Verbreitung von COVID-19 – wie etwa Lockdowns – bewertete er so:
„Es könnte auch morgen ein Meteorit einschlagen. Sollen wir dann heute alle Zuhause einsperren, damit sie nicht geschädigt werden?“ (Stefan Homburg, Folge 6, 25.10.20)
Zum Thema Lockdown formulierte auch Bhakdi in Folge 8 einen klaren Standpunkt:
„Dieser Lockdown ist kriminell. Er ist kriminell, er ist ein Verbrechen gegen die Menschheit, weil es ganz klar ist, dass dieser Lockdown nie etwas Positives bewirkt hat (…) und es ist klar, das alles wird mit Angst und Panikmache getrieben.“ (Sucharit Bhakdi, Folge 8, 08.11.20)
Passend dazu hatten die Diskutant*innen keine sehr hohe Meinung von der Impfung. Laut der Publizistin Cora Stephan sei sie ein Anlass, um vom „hohen Ross der Panikpandemie“ herunterzukommen. Auch Bhakdi stand den Vakzinen kritisch gegenüber, ihm nach könnten diese zu Sterilität bei Frauen führen: „Das sind Dinge, die theoretisch schon auf dem Papier da sind“. Auf der Website des Impfherstellers Pfizer wird jedoch dezidiert angegeben, dass diese Annahme nicht von Daten unterstützt wird. Auch das Robert-Koch-Institut hat in einem sehenswerten Faktencheck klargestellt, dass diese Sorge unbegründet ist.
Eine besonders häufig diskutierte Regierungsmaßnahme war auch die Maskenpflicht. Für Homburg, Freund malerischer Vergleiche, sei nur „Elitepersonal im OP-Saal“ im Stande, diese richtig zu verwenden:
„Ich meine, wir sagen ja auch nicht, an Gebäudereinigern sehen wir alle können Hochhäuser erklimmen und jetzt machen wir eine Rechtsverordnung, dass auch Alte und Kranke auf Hochhäuser klimmen müssen.“ (Stefan Homburg, Folge 1, 20.09.20)
Die Maskenpflicht für Kinder bereitete auch Bhakdi große Sorgen, denn:
„Wir wissen, dass Kinder, die Masken tragen, wo die CO2-Konzentration hochgeht, langsam vergiftet werden.“ (Sucharit Bhakdi, Folge 12, 01.11.20)
Auch dazu existieren zahlreiche entwaffnende Faktenchecks: Von DPA Faktchecking, Correctiv, APA Faktencheck und vielen – wirklich vielen – mehr.
Da waren es plötzlich fünf
Die ersten beiden Folgen des Corona-Quartetts fanden unmoderiert statt, ein roter Faden fehlte; deshalb wurde Michael Fleischhacker den Diskutierenden ab Folge drei zur Seite gestellt. Jedoch sah sich dieser teilweise lieber als Mitdiskutant als in einer moderierenden Rolle. Von sarkastischen Aussagen wie
„Wenn Sie jetzt ausplaudern, dass wir uns die Hand gegeben haben, haben wir beide ein Problem.“ (Michael Fleischhacker, Folge 5, 18.10.20)
…bis hin zu offenkundigen Unterstellungen wie
„Sie würden vielleicht nicht widersprechen, dass der eine oder andere Patient auf der Intensivstation liegt und nicht auf der Normalstation, weil das Verrechnungssystem für die Intensivstation mehr hergibt, oder?“ (Michael Fleischhacker, Folge 7, 01.11.20)
war Fleischhacker phasenweise mehr Anpeitscher als Moderator. So stellte er auch in den Raum, dass österreichische Kulturschaffende relativ still bezüglich der Regierungsmaßnahmen seien, weil sie von ebendieser finanziert werden würden. Zugutehalten muss man ihm jedoch, dass er beizeiten der einzige Puffer war, der so manche Schreiduelle der eingeladenen Gäste einbremsen konnte.
Best of Bhakdi
Kein*e andere*r Teilnehmer*in des Corona-Quartetts war so präsent wie Sucharit Bhakdi. Bekannt für sein Buch „Corona Fehlalarm?“, betrieb er auch einen YouTube-Kanal. Dieser wurde Ende 2020 wegen Verstoßes gegen die Community-Richtlinien gekündigt. Diese listen unter anderem eine Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über COVID-19 auf. Bhakdis Aussagen bescherten ihm außerdem den Negativpreis „Goldenes Brett vorm Kopf“.
Er war der Einzige, dessen Werdegang, Herkunft und Elternhaus behandelt wurden, was zu einem zehnminütigen Monolog am Ende der achten Folge führte – immerhin fast ein Fünftel der Sendezeit. Auch einen Geburtstagswunsch durfte Bhakdi in Folge 7 formulieren:
„Wissen Sie, ich lebe in einem permanenten Albtraum. Ich sehe vor mir die armen Leute, meine Mitmenschen, die nicht so privilegiert sind. Vorne ist ein Rattenfänger, aber er fängt nicht Ratten, er fängt diese Menschen und er hat seine Pfeife. Und sie laufen ihm nach mit Maske. Und wer nicht mit Maske mitläuft, (…) wir bekommen Handschellen, (…) werden abgeführt und ich habe einen Wunsch: Ich möchte gerne, dass diese Menschen, dass wir aufhören, diese Masken zu tragen. Reißt die Masken runter. Gebt einander die Hand und fangt an zu singen. Mozart, Händel, Bach, sodass die Pfeife nicht mehr gehört wird und kehrt zurück in eure Häuser.“ (Sucharit Bhakdi, Folge 7, 01.11.20)
Abschließend hielt Bhakdi auch bei seinem letzten Auftritt Anfang Dezember an seiner These fest, dass die Pandemie zu Ende sei. Als Fleischhacker sichtlich überrascht nachfragte, ob er denn sagen würde, dass das, was sich in den Krankenhäusern gerade abspiele, ein Fake sei, antwortete Bhakdi „Ja, das versuche ich die ganze Zeit zu sagen“. Das Problem sei ein falsches Label, weil ein PCR-Test zur Definition der Krankheit diene.
Polarisierung als Sendungskonzept
Diskussionen über COVID-19 und die Regierungsmaßnahmen dürfen natürlich durchaus kritisch und kontrovers sein, das ist keine Frage. Polarisierung zum Selbstzweck einer gesamten Sendreihe zu machen, ist jedoch höflich ausgedrückt: Mehr als fraglich. Das Ergebnis ist die Konstruktion einer Parallelrealität fernab jeglicher wissenschaftlichen Fakten. Das Corona-Quartett wurde so zur österreichischen Speerspitze verharmlosender (Falsch-)Information während einer weltweiten Pandemie.
Doch die Quoten bestätigen ServusTV: Im vergangenen November war er mit 3,3 Prozent Marktanteil der stärkste österreichische Privatfernsehsender. Personen wie Sucharit Bhakdi, Stefan Homburg und Co. ein breitenwirksames Medium zur Verbreitung ihrer Thesen fernab des wissenschaftlichen Konsens zu bieten, mag vielleicht marginalisierte Zuseher*innen anlocken und ein neues Publikum erschließen, aber zu welchem Preis?
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Master-Studiums für Journalismus an der FH-Wien.
Update: Sucharit Bhakdi muss sich vor Gericht wegen des Verdachts auf Volksverhetzung verantworten. In erster Instanz wurde er freigesprochen.