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Kategorie: ORF

Die Qualität der Medien ist immer auch ein Indiz für die Qualität der Demokratie, meint der Schweizer Mediensoziologe Kurt Imhof. Welche dramatischen Auswirkungen medialer Qualitätszerfall haben kann, erklärt er im bemerkenswerten Interview auf science.orf.at.

(Foto cc practicalowl)

Einen Tag nachdem alle Welt über das durch Wikileaks.org veröffentlichte Video eines US-Kampfeinsatzes aus Bagdad berichtete, wurde nun auch ORF.at aufmerksam. Doch die Vorbereitungszeit reichte offenbar nicht ganz für saubere Recherche:

Die Whistleblower-Website Wikileaks hatte das rund zwölfminütige Interview, das ein Feuergefecht eines Militärhubschraubers im Osten Bagdads vom 12. Juli 2007 zeigt, online gestellt.

Mit einem „Interview“ dürfte das brutale Videoprotokoll aus einem Kampfhubschrauber (mit den Stimmen aus zwei Hubschraubern und Basis) so viel gemein haben wie der Irakkrieg mit der Schlacht von Gaugamela. Das Rohmaterial reicht zudem über 38 Minuten, der Zusammenschnitt des Videos dauert immerhin noch fast 18. Soviel zu den „zwölf Minuten“.

Über die gegenüber dem Pentagon erhobenen Vorwürfe steht im Teaser zum Artikel nur so viel:

„Wie in einem Computerspiel“ hätten sich die Soldaten verhalten, lautet die Kritik an der Schießerei mit fatalen Folgen.

Klingt etwas nach der Begründung für das Durchfallen-Lassen eines Fahrschülers bei der Führerscheinprüfung. Doch die die Vorwürfe lauten etwa „grundloses Ermorden eines verwundeten Reuters-Mitarbeiters und seiner Retter“:

The video (..) clearly shows the unprovoked slaying of a wounded Reuters employee and his rescuers.

Auch die vorsätzliche Tötung weiterer, unbeteiligter Zivilisten wird von den Kritikern in den Raum gestellt. Ohne über diese konkreten Vorwürfe („slaying“, „murder“) zu berichten, möchte der Autor möglicherweise Verständnis für die schwierige Aufgabe der mutmaßlichen Täter wecken:

Wie selten zuvor gewährt dieses Video Einblicke in die Schwierigkeiten und Abgründe der modernen Kriegsführung.

Das deutlich hörbare Amüsement der Soldaten nach erfolgter Tötung und bei der Beobachtung des Überrollens einer Leiche durch ein Truppenfahrzeug bleibt jedoch ebenso unerwähnt.

Auf ein Einbetten des fraglichen Videos in den Artikel zur eigenen Meinungsbildung des Lesers, wie in den meisten internationalen Medien geschehen, verzichtet der ORF. Lediglich ein 3-Minuten-Ausschnitt, der erst nach drei Klicks erreichbar ist, wird auf die eigene Website gestellt. Dabei wäre es so einfach gewesen:

Update: Erste Korrekuren werden bereits vorgenommen: Jetzt ist nicht mehr von einem Interview die Rede, dafür wurden die Vorwürfe präzisiert.

Am Schauplatz: ORF, Falter 13/10Ingrid Brodnig und Martin Gantner haben sich für den FALTER auf Spurensuche zum Tatort Schauplatz begeben. Mit der unaufgeregten journalistischen Distanz und Übersicht, die ein Wochenmagazin im besten Fall ermöglicht. Den lesenswerten Artikel gibt es auch online auf Brodnigs Blog.

Nachricht (Journalismus)
„Die Nachricht ist eine journalistische Darstellungsform und teilt eine Neuigkeit mit […].“

Boulevardisierung
„[…] Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich […] nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien […].“

Update: Da habe ich ORF.at Unrecht getan, ein ganz wenig. Denn diese Boulevard-Meldung ohne Newswert wurde ihm offenbar — man höre und staune — von der APA als Nachricht verkauft. Und der Standard hat da natürlich auch zugeschlagen.

Der Medienbeobachter Max Kossatz hat 24h lang ORF1 geschaut und auf seinem Blog ein paar interessante Findings dazu veröffentlicht. So sendet ORF1 mehr Werbung als Nachrichten. 52% des Tages, also ganze zwölfeinhalb Stunden sind mit US-Serien voll. Rechnet man die deutschen Telenovelas dazu, kommt man gar auf 14 Stunden.

Max hat diese 24h auf aufschlussreiche fünf Minuten komprimiert:

Ich bin froh, keinen Fernseher zu besitzen und diesen Leuchtturm des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags nicht mit meinen Gebühren finanzieren zu müssen.

Ich gratuliere Seppi und Burli aus der Sportredaktion zum Schlagzeilen-Namen Fischi für die frischgebackende Olympiasiegerin Andrea Fischbacher. D’Fischbocherin wäre ja zu lang gewesen, und seit Schlieri, Kirchi, Dorfi, Walchi, Meisi, Lizzi und Goldi ist bekannt: Babysprache gehört zum Wintersport wie Boxenluder zur Formel 1.

Siehe auch bei Zib21 und Nömix.

Der Club 2 am vergangenen Mittwoch zum Thema „Was brachte uns Schwarz-Blau“ endete mit einem selbstkritischen Fazit des Diskussionsteilnehmers Hubsi Kramar:

In diesem Land hat man vollkommen verlernt, differenziert miteinander zu reden.

Nahezu von Anfang an schrien sich die DiskutantInnen an, fielen einander ins Wort, und den ZuseherInnen war es 90 Minuten lang selbst überlassen, dem lauten Stimmengewirr die eine oder andere verständliche Aussage zu entnehmen.
Die Rolle des Moderators in einer siebenköpfigen Diskussionsrunde ist schwierig. Werner Schneyder erweckte am vergangenem Mittwoch den Eindruck mit dieser überfordert gewesen zu sein, insbesondere weil er mitunter selbst mitdiskutierte. Ohnmächtig fragte er an einer Stelle: „Vielleicht begreift die ORF-Redaktion nun, dass sieben Diskutanten zu viel sind?“ Doch vielleicht scheint auch die Einlade-Politik der Club-2-Redaktion eher auf quotenträchtigen Radau ausgelegt als darauf, den eigenen Anspruch zu erfüllen, Analyse und Orientierungshilfe zu bieten.

Der Beitrag ist noch bis 10. Februar in der TV-Thek zu sehen. Fotos: © ORF