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Kategorie: Der Standard

Eine Ansichtssache:




Nationafeiertage scheinen mediale Mikro-Saure-Gurken-Zeit zu sein: Ausgehend von einer APA-Meldung wurde von vielen Zeitungen Österreichs, wie DerStandard.at, „Österreich“ und Kleine Zeitung kurz vor dem Nationalfeiertag eine Studie des Zentrums für Zukunftsstudien an der Fachhochschule Salzburg zitiert, wonach jeder zweite Österreicher „stolz“ auf sein Heimatland ist. In allen Berichten wurde darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse in den verschiedenen Bundesländern erheblich variieren.

Doch wie sicher können solche Daten sein, wenn eine Stichprobe von nur 1000 Personen für ganz Österreich auch noch auf die Bundesländer verteilt wird? Diese 1000 Personen können mathematisch auf zwei Arten auf die Bundesländer verteilt werden. Österreich teilt sich in neun Bundesländer auf, wenn man dies durchrechnet, dann sind das im Falle dieser Umfrage im Schnitt etwa 111 Befragte pro Bundesland.

Wurde die Stichprobengröße jedoch der Einwohnerzahl angeglichen, dann wurden in Wien 200 Personen befragt und im Burgenland nur noch 30. Auffallend ist zumindest, dass es in Burgenland und Vorarlberg, den kleinsten Bundesländern, der Ausschlag am höchsten ist. Liegt das vielleicht daran, dass nur eine Handvoll Menschen befragt wurde, die für ein beinahe zufälliges Ergebnis sorgen?

Über die richtige Größe der Stichproben für eine valide Aussage streiten sich die Geister, obwohl anzunehmen ist, dass hier beide Arten der Verteilung der 1000 Befragten zu keinem befriedigenden Ergebnis führen: Nach diesem Stichprobenkalkulator dürften 111 Personen für Wien (bei Methode A) oder 30 Personen für das Burgenland (bei Methode B) jedenfalls sehr deutlich zu wenig sein.

Die Medien, die solche APA-Meldungen drucken, scheinen die Angaben leider nicht zu hinterfragen.

Am 12.10. erschien im „Standard“ und auf DerStandard.at eine (vermutlich von der APA kommende) Meldung unter dem Titel:

Fahrraddiebstahl: Wien unter Top drei in Europa

Das deutsche Online Portal Geld.de hatte in einer Studie die Zahl der Fahrraddiebstähle in 60 Städten in Deutschand, Österreich und Schweiz erhoben.

Screenshot derStandard.at

Screenshot derStandard.at

Die drei deutschsprachigen Länder wurden also kurzerhand zu ganz Europa gemacht und Wien dann gleich aufs Stockerl gehievt.

Auch die Aussage, Wien befände sich unter den Top 3 der untersuchten 60 Städte im deutschsprachigen Raum befindet kann nicht unkommentiert werden lassen: So ist es wenig verwunderlich, dass die Anzahl der Fahrraddiebstähle neben Hamburg und Berlin in Wien am größten ist, sind diese drei Städte doch auch die drei größten im deutschsprachigen Raum.

Bei einem genaueren Blick zeigt sich, dass bei der Zahl der Diebstähle umgerechnet auf die Einwohnerzahl Münster, Bern und Basel die Statistik anführen.

Die Kleine Zeitung war im Stande, die Statistik korrekt zu interpretieren und berichtet über Graz auf Platz sieben der Liste.

Von der Standard-Headline „Wien unter Top drei in Europa“ bleibt jedoch nicht viel über.

Die APA schreibt von einem neuen Rekordhoch des Goldpreises und alle schreiben ab. Seit 2001 steigt der Goldpreis, worüber sich die Medien immer wieder aufs Neue erstaunen. So wurde auch am 6.10. brav vom neuesten Rekordhoch berichtet. Ein Blick auf Wikipedia zeigt, dass der Goldpreis 1980 schon um einiges höher war als heute. Die Grafik wurde mit inflationsbereinigten Zahlen erstellt – was die einzig sinnvolle Art ist, Preisentwicklungen über längere Zeiträume zu vergleichen. Von einem Rekord ist also keine Rede. Inflationsbereinigt war die Feinunze Gold 1980 an der New York Commododities Exchange schon 2312,94 US-Dollar wert, das sind satte 58,9% mehr als der vielfach als Rekordhoch berichtete Stand von 1364,60 US-Dollar vom 7.10.2010.

(Grafik: Wikipedia, gemeinfrei)

Dass Morgenstund nicht immer Gold im Mund hat, sei vor allem den FrühaufsteherInnen unter den JournalistInnen verziehen. Am 28. Oktober titelte DerStandard.at um 06:12 Uhr in der Rubrik „Inland“:

„Gehaltserhöhung für Beamte um mindestens 1,03 Prozent“.

Darüber hätten sich vor allem besser verdienende BeamtInnen gefreut,  für die es mit der Gehaltserhöhung prozentuell ein wenig schlechter aussieht, wie auf DerStandard.at ergänzt wurde:

„Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erhalten ab 1. Jänner sozial gestaffelt eine Gehaltserhöhung zwischen 0,85 und 2,09 Prozent. Im Durchschnitt beträgt die Erhöhung 1,03 Prozent“.

Im Durchschnitt braucht man um diese Uhrzeit wahrscheinlich mindestens zwei Kaffee, um zu erkennen, dass hier die Mindest-Gehaltserhöhung mit der Durchschnitts-Gehalterhöhung gleich ist. Daher auch alle Nachsicht der Redaktion, die den Titel nach zwei Stunden auf „Beamte bekommen 115 Millionen mehr“ korrigierte.

Danke Wolfgang P. für den Hinweis!

Die Medien waren sich uneinig, in welcher Tiefe die Kumpel eingeschlossen waren. Sie haben sich nicht nur untereinander widersprochen- auch innerhalb eines Mediums gab es keine einheitlichen Nennungen.

Am 12.10 berichtet der Online-Ableger von „Österreich“, die Bergleute seien in einer Tiefe von mehr als 600 Metern eingeschlossen. Einen Tag später, am 13.10 um 08:46 Uhr waren es exakt 620 Meter. Bereits am Abend des selben Tages war der Schutzraum jedoch in 700 Meter Tiefe.

Die Tageszeitung „Heute“ berichtet am 12.10 über einen 700 Meter tiefen Schutzraum. Am 13.10 waren es exakt 622 Meter. Am nächsten Tag 624 Meter. Kurios ist auch, dass „Heute“ berichtet, 29 Angehörige der Kumpel würden insgesamt 8,8 Millionen Euro fordern. Krone.at berichtete zwei Wochen zuvor von 27 Angehörigen, die insgesamt 27 Millionen Dollar fordern würden. Das entspricht einem Wechselkurs von 1:3.

Auch bei den „Qualitätsmedien“ wurden enorme Höhenunterschiede beobachtet. Derstandard.at ist sich am 11.10 sicher, die Kumpel seien in einer Tiefe von 624 Meter eingeschlossen. Allerdings steht schon auf dem Fotocredit, dass die Kumpel in 700 Meter festsitzen würden. Einen Tag darauf fällt der Schutzraum dann offiziell auf 700 Meter ab. Schließlich klettert der Raum am 13.10 jedoch wieder auf 622 Meter. Am 14.10 einigte man sich auf über 600 Meter Tiefe.

Beim ORF konnte man die Bewegungen des Schutzraums quasi im Minutentakt verfolgen. Hannelore Veit berichtet in einer ZiB-Special um 20:15 von 620 Meter Tiefe.  Gegen Mitternacht wusste ihr Kollege Roman Rafreider in der ZiB 24, dass die Kumpel in 622 Meter Tiefe festsitzen würden.

Die New York Times rechnete sich übrigends eine Tiefe von knapp einer halben Meile aus, was etwas weniger als 800 Metern entspricht.

Eine knifflige Situation für Journalisten, keine Frage. Was tut man da am besten? Man kann etwa dem Beispiel von Armin Wolf in der ZiB 2 folgen. Obwohl Chile knapp elf Minuten- der insgesamt 28 Minuten langen Sendung- gewidmet wurden, kam es zu keiner Nennung bezüglich der Tiefe. Frei nach dem Motto also: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal…“

Das aufgeregte Echo auf Twitter und Facebook ließ mich vermuten, dass ich der Erste gewesen sein musste, dem kürzlich das neue Wiener-Blut-Wahlplakats der FPÖ aufgefallen war. Also stellte ich das Foto in der Originalversion auf mein Blog und schrieb dazu:

Die Verwendung, auch im kommerziellen Umfeld, ist mit Namensnennung und Link erlaubt.

Ein kleiner Foto-Credit hätte mir genügt, aber natürlich freue ich mich auch über ausführliche Nennungen wie im Online-Standard.

„Österreich“ verwendete mein Bild am 17. August, schaffte es aber trotz einfachster Bedingungen nicht, meinen Namen dazu zu schreiben. Angeblich – ich habe den Ausschnitt nicht – stand dort das sinnige „Foto: Privat“, was auch sonst meist recht zweifelsfrei auf eine Urheberrechtsverletzung hinweist.

Am 20. August wieder, diesmal ganz ohne Credit. Heute das gleiche in „Heute“, als Illustration eines Leserbriefs: Kein Credit.

Den Vogel schoss aber „Heute“ ab, als man mein Foto am 17. August mit einem „© Hertel“ versah. Doch es stammt nicht aus dem teuren Equipment von „Heute“-Fotografin Sabine Hertel sondern schlicht aus meinem Handy.

Auf Nachfrage bekam ich diese Antwort:

Der von Ihnen besagte Artikel am 17. August wurde 1 zu 1 vom Print in Online übernommen. Da im Print neben Ihrem Foto in der Fotocreditzeile sowohl Hertel als auch Ihr Name angegeben wurde, hat der zuständige Redakteur missverständlicherweise den Namen des anderen Fotografen übernommen.

Na wenigstens werde ich nicht verklagt.

(Danke an Mediatrice für den Hinweis!)

Die Abschiebung der Zogajs ist in Österreich zu einem heißen politischen Thema geworden. Heiß wird einem jedoch auch beim Lesen dieses DerStandard.at -Artikels aufgrund von ungeschickt platzierten Werbungen, die in diesem Kontext einfach nur bösartig wirken.

Herzlichen Dank an Georg R. für den Hinweis!

Die Gratisblätter „Heute“ und „Österreich“ berichteten am 19.05. über die eklatanten Fehlstunden der heimischen Lehrer.

„Heute“ schreibt in fetten Lettern:

und „Österreich“ noch größer:

Im Artikel schreibt „Heute“:

  • 58 Prozent der Lehrer schwänzen Stunden komplett
  • 14 Prozent sind mangelhaft vorbereitet
  • und 49 Prozent kommen zu spät.

Und „Österreich“ schreibt:

  • 21 Prozent der Lehrer fehlen regelmäßig
  • 15 Prozent bereiten sich mangelhaft vor
  • und 8 Prozent kommen zu spät.

Woher nehmen „Österreich“ und „Heute“ die Zahlen? „Österreich“ gibt die Talis-Studie als Quelle an, „Heute“ schreibt dagegen nur nebulös von einer „Schul-Studie“. Erst aus dem Kontext von Datum der Veröffentlichung, zitierte Zahlen und Experten kann man schließen, dass sich auch „Heute“ auf die Talis-Studie bezieht.

Der Zahlensalat geht aber weiter, „DerStandard.at“ schreibt:

  • über 20 Prozent sind „sehr viel“ oder zu „einem gewissen Ausmaß abwesend“
  • 14 Prozent sind „nicht genügend“ auf den Unterricht vorbereitet
  • und beinahe 10 Prozent kommen zu spät.

Wie kommen nun die Medien auf so unterschiedliche Zahlen? Auf Seite 84 des BIFIE-Reports 4/2010 (pdf) findet man die Antwort:

„Heute“, „Österreich“ und „DerStandard.at“ haben die Statistik verschieden interpretiert. Das Zuspätkommen ist ein schönes Beispiel dafür:

  • „Österreich“ zählt bis zu einem gewissen Ausmaß und sehr viel zusammen = 8 Prozent und schreibt über „regelmäßiges“ Zuspätkommen
  • „Heute“ zählt ein wenig, bis zu einem gewissen Ausmaß und sehr viel zusammen = 49 Prozent und schreibt von „zu spät kommen“
  • Und „DerStandard.at“ zählt bis zu einem gewissen Ausmaß und sehr viel zusammen und schreibt von „beinahe 10 Prozent“.

Aber nicht nur bei den Zahlen wurde geschummelt. „Österreich“ schreibt: „Neue OECD-Studie“. Tatsächlich stammt die Talis-Studie von 2008. Das hat „Österreich“ und „Heute“ mal vorsorglich weggelassen. Bleibt nur noch die Frage offen: Warum berichten gerade jetzt die Medien über eine Studie von 2008? Auch „DerStandard.at“ beantwortet diese Frage nicht. Das Rätsel löst aber eine OTS-Aussendung des BIFIEs. Denn am 17.05. um 19:00 Uhr fand eine Veranstaltung zur Studie statt. Präsentiert wurden vertiefende Analysen und Expertenberichte. Die Ergebnisse der Studie wurde außerdem in einem neuen BIFIE-Report zusammengefasst.

Sensationelles weiß die Samstagsausgabe von „Österreich“ in ihrer Titelgeschichte zu vermelden:

Umfrage: Erstmals SPÖ vor der ÖVP
[…] Knalleffekt in der brandaktuellen ÖSTERREICH-Umfrage: Das renommierte Gallup-Institut sieht die SPÖ im koalitionsinternen Umfrage-Duell erstmals seit fast einem Jahr wieder vorn. Konkret kommt die Partei Werner Faymanns auf 31 Prozent – die ÖVP von Josef Pröll nur noch [sic!] auf 30. […] Doch Faymann kann sich nicht nur darüber freuen: Auch in der Kanzlerfrage liegt er erstmals seit 28. Juni 2009 (!) wieder vorn: Der Amtsinhaber kommt demnach auf 38 Prozent, Gegenspieler Josef Pröll auf 37.

Wie geht das eigentlich? 500 bis 1000 Leute befragen, und dann genau wissen, wie sechs Millionen wählen würden? Die schlechte Nachricht: Es geht gar nicht. Zumindest nicht so exakt, wie es „Österreich“ uns hier weismachen möchte.

Die Ergebnisse repräsentativer Umfragen unterliegen naturgemäß einer gewissen Unschärfe. Die Experten nennen das Schwankungsbreite. Eine Schwankungsbreite von z.B. 3 % bedeutet, dass die realen Werte um plus/minus drei Prozentpunkte abweichen können.

Hinzu kommt noch die Einschränkung auf ein Vertrauensintervall von üblicherweise ca. 95 %. Keine Sorge, das klingt jetzt komplizierter als es ist. Das Vertrauensintervall (auch Signifikanzniveau) besagt nur: „Die plus/minus drei Prozentpunkte Abweichung gelten mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 %“ Anders gesagt: Es besteht eine Fünf-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass die wahren Werte die Schwankungsbreite sprengen und mehr als plus/minus drei Prozentpunkte vom Umfrageergebnis abweichen.

Die Schwankungsbreite selbst hängt naturgemäß von der Zahl der Befragten ab, aber auch von den ermittelten Ergebnissen. Kurz: Je weiter ein Ergebniswert von der 50-Prozent-Mitte entfernt liegt, desto geringer wird seine Schwankungsbreite. Sagen also z.B. 50 % der Befragten, sie wählen diese oder jene Partei, so schwankt dieses Ergebnis um ca. 4,4 % (bei 500 Befragten), während die 10 % für eine andere Partei in der selben Umfrage nur 2,6 % Schwankungsbreite aufweisen (das selbe würde für 90 % gelten, weil es gleich weit von der Mitte entfernt liegt).

Bevor’s jetzt aber doch zu kompliziert wird: hier wird alles sehr anschaulich und verständlich erklärt. Und es gibt wunderbare Tabellen (hier z.B. von Gallup), die ohne großes Nachrechnen zeigen, wie groß die Schwankungsbreiten, abhängig von den genannten Einflussgrößen sind.

Muss man jetzt auch alles gar nicht so genau verstehen. Wichtig ist nur, zu wissen: das Ganze ist ein bisserl so, wie der Versuch, den Ausgang eines Rennens bereits einige Meter — manchmal auch einige hundert Meter — vor dem Ziel vorherzusagen. Liegen die Läufer klar auseinander, nicht weiter schwierig. Aber liegt das Feld eng beinander, nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Das führt uns zurück zum „Knalleffekt“ von „Österreich“ und zur Anwendung des eben Gelernten in der Praxis. Leider verschweigt das Blatt alle relevanten Daten zur Umfrage, so kann die Größe der Stichprobe nur geschätzt werden. Üblicherweise werden für die wöchentliche Sonntagsfrage aber nicht mehr als 500 Menschen befragt. Die Schwankungsbreite läge in diesem Fall laut Tabelle bei über vier Prozentpunkten.

Das bedeutet, Faymann der laut „Österreich“ sensationell führt, könnte derzeit ebenso gut bei nur 34 Prozent liegen und Pröll bei satten 41. (Und mit fünf Prozent Wahrscheinlichkeit, liegt der Wert vielleicht sogar noch höher.)

Na, das wär doch ein Knalleffekt, oder?

PS: Der Standard berichtet auf seiner Samstags-Titelseite erschütternd ähnlich, auf Basis einer anderen Umfrage.