Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: z Medien

Die Szene dauert nur ein paar Sekunden: Die Witwe des Chefs der Terrororganisation Hamas, Jihia al-Sinwar, huscht in Aufnahmen aus dem Tunnelsystem hinter ihrer Familie durch das Bild. Doch die Tasche, die sie dabei trägt, beschäftigt Medien auf der ganzen Welt. Es soll sich um das Modell „Birkin“ der Luxusmarke Hermès handeln. Ihr Wert beträgt 32.000 US Dollar. Der Aufschrei ist groß: die Familie des wohl wichtigsten Hamas-Mannes soll sich mit Luxusartikeln im Tunnel verstecken, während über ihnen Armut und Krieg herrscht.

Collage von internationalen Medienberichten zur angeblichen Birkin-Handtasche der Witwe von Sinwar

Die zwei österreichischen Berichte zur angeblichen Birkin-Handtasche der Witwe von Sinwar

Auch für die österreichischen Boulevardblätter Oe24 und Exxpress ist die Meldung klar: „Frau von Hamas Chef flüchtete mit 32.000 Dollar Tasche“ und „Mit der 30.000 Euro teuren Birkin Bag im Hamas Tunnel“ liest man dort. Nur, woher weiß man überhaupt, dass es sich bei der Handtasche um eine Hermès Birkin handelt? Dazu müssen wir uns drei Dinge etwas genauer ansehen: Die ursprüngliche Quelle, die Tunnelaufnahmen und, natürlich, die Handtasche. Und die zeigen: Die Sache ist nicht so klar, wie es in den Medien klingt. Aber der Reihe nach.

Falschnachrichten und Suggestivfragen: It’s a match!

Kurz nachdem der Chef der Terrororganisation Hamas, Jihia al-Sinwar, getötet wurde, veröffentlicht die israelische Armee Aufnahmen aus einem der Tunnel, in denen er sich die letzten Monate großteils aufgehalten haben soll. Zunächst gehen zwei Buben durch den schmalen Tunnel, einer trägt ein FC Barcelona-Trikot, der zweite hat einen rosaroten Rucksack um die Schulter gehängt. Dann kommt Sinwar. Er trägt eine weiße Plastiktasche. Hinter ihm ein kleines Mädchen, und schließlich seine Frau Samar Abu Zamar. Und was sie trägt, beschäftigt zunächst einmal den Herausgeber des Bildmaterials, das israelische Militär.

Dessen Sprecher Avichay Adraee postet auf X und Instagram einen Screenshot aus den Aufnahmen und schreibt:

Hat Sinwars Frau am 6. Oktober mit einer Birkin-Tasche im Wert von 32.000 Dollar den Tunnel betreten? Ich überlasse es Ihnen, das zu kommentieren.

(aus dem Arabischen)

Screenshot des X-Postings von Avichay AdraeeScreenshot einer Übersetzungsseite, die den Text von Adraee aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt

Adraee stellt also die Frage in den Raum, ob Zamar mit einer 32.000 Dollar-Tasche im Tunnel der Terrororganisation Hamas unterwegs war. Eine Suggestivfrage, denn Adraee liefert auch gleich eine passende Interpretation mit und adressiert „die besondere Liebe von Yahya Sinwar und seiner Frau zum Geld“. Der offizielle Israel-Account zitiert Adraee daraufhin lässt aber das Fragezeichen weg.

Nun kämpft Israel gegen eine Terrororganisation. Dennoch ist der Staat Kriegspartei. Und was von Kriegsparteien nach außen kommuniziert wird, sollten Journalist:innen ganz prinzipiell mit Vorsicht genießen. Solche Suggestivfragen sind bei Desinformation jeglicher Art ein beliebtes Mittel, weil sie als Fragen getarnt die Antworten und damit bestimmte Meinungen gleich vorwegnehmen. Als Medium sollte man in solchen Fällen so gut es geht auch eigenständig recherchieren. Und vor allem nicht einfach eine Suggestivfrage als Tatsache titeln, wie es Oe24, Exxpress und weitere Medien weltweit gemacht haben.

In diesem Fall wäre das ziemlich einfach gewesen, denn die Tunnelaufnahmen sind online frei verfügbar. Also: Handelt es sich nun um die besagte Birkin?

Wir erkennen doch eine Birkin, wenn wir sie sehen!

Der Armee-Sprecher Adraee fügt seinem Post bereits ein Foto jenes Modells bei, um das es sich handeln soll: Hermès Birkin 40 in der Farbe „Black Togo“. Eine 360-Grad-Ansicht der Tasche gibt es unter anderem hier.

Wir haben Screenshots aus der Aufnahme mit den Fotos auf der Seite des Luxus-Online-Shops Saclàb verglichen:

Collage: links Handtasche von Samar Abu Zamar; rechts Fotos der Hermès Birkin 40 Togo Schwarz

Auf den ersten Blick mögen sich die Taschen ähneln wenn man genauer hinschaut, sieht man jedoch Unterschiede. Auffällig ist zum Beispiel, dass Zamar in ihrer Tasche seitlich augenscheinlich etwas eingesteckt hat. Zumindest blitzt dort ein weißer oder silberner Streifen hervor. Die richtige Hermès hat an dieser Stelle aber weder Taschen noch andere Details. Und auch bei den Henkel blitzt etwas Metallenes aus der Dunkelheit des Tunnels, das so nicht auf einer Birkin zu finden ist. Apropos Henkel: Ihre Position scheint ebenfalls nicht übereinzustimmen.

Bleiben folgende Fragen: Handelt es sich bei der Tasche um eine andere Luxus-Handtasche? Um ein schlecht gemachtes Birkin-Fake? Oder gar um eine stinknormale, schwarze Handtasche? Dreimal Vielleicht.

Was man aber mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, dass es sich nicht um jene Hermès Birkin 40 handelt, die zuerst der israelische Armeesprecher und danach etliche Medien nennen.

Eine solche ist übrigens auch unheimlich schwer zu bekommen. Nicht wegen des Geldes, sondern weil sich Hermès Paris Exklusivität auf die Fahnen schreibt. Unter dem Titel „The Crazy Economics of the World’s Most Coveted Handbag“ (dt.: „Die verrückte Ökonomie der begehrtesten Handtasche der Welt“) beschreibt im Juni das Wall Street Journal diese Eigenheiten des Birkin-Markts. Auch das ist eine Hintergrundinformation, die in den allermeisten Berichten zu den Tunnelaufnahmen fehlt.

In den Artikeln von Oe24 oder Exxpress fehlt überhaupt jede Spur von Grautönen. Man liest kein Wort darüber, dass es sich auch um einen Irrtum, oder gar um Propaganda handeln könnte. Dass die Witwe des Hamas-Führers die begehrteste Handtasche der Welt trägt, klickt sich Tage nach dessen Tod zwar gut. Es gießt allerdings auch unnötig Öl in das Propagandafeuer.


Kobuk ist unideologisch. Uns geht es immer auch in diesem Fall ausschließlich um die Frage, ob journalistisch sauber gearbeitet wurde. Wir freuen uns über sachdienliche Hinweise jeder Art an [email protected]

Kobuk braucht finanzielle Unterstützung nicht für Luxus-Handtaschen, sondern um Recherchen wie diese überhaupt möglich zu machen. Wer das gut findet und ebenfalls Mitglied werden will, schaut am besten hier vorbei.


Um keinen Kobuk mehr zu verpassen, kann man sich gratis für unseren Newsletter anmelden. Einfach hier klicken.

Das mit dem Gendern ist so eine Sache. Sachlich zu diskutieren ist fast unmöglich. Zu sehr erhitzt das Thema die Gemüter. Denn es geht schon lange nicht mehr nur um inklusive Sprache, wie sie an Universitäten üblich ist, in den Medien für Kopfzerbrechen sorgt und für die niederösterreichische Landesregierung verboten gehört. Hinter diesem zweisilbigen Wort machen sich ganze Welten auf. Für die eine Seite ist Gendern Ausdruck einer inklusiven Gesellschaft. Die andere Seite fürchtet hingegen einen „Genderwahn“ der Begriff bezeichnet eine „als übertrieben empfundene und an der Realität vorbeigehende Beschäftigung mit Genderthemen“, liest man auf Wiktionary. Als Kampfbegriff der extremen Rechten, um die traditionelle Geschlechterordnung zu verteidigen, bezeichnet ihn die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung.

Zu jenen, die „Genderthemen“ traditionell ablehnend gegenüberstehen, gehört die größte Tageszeitung Österreichs, die Kronen Zeitung. Interessanterweise heißt das aber nicht, dass diese Themen, mit denen sich andere „übertrieben“ beschäftigen, in der Krone nicht vorkommen. Im Gegenteil, die Krone bringt die Genderdebatte sogar regelmäßig auf ihr Titelblatt. Zwischen Jänner 2021 und August 2024 genau gesagt 25-mal.

Viele dieser Artikel sind voller künstlicher Aufregung und unsachlich. Fast schon krampfhaft versucht die Krone wieder und wieder einen Genderwahn herbeizuschreiben.

Gewissermaßen könnte man der Krone also eine „übertriebene und an der Realität vorbeigehende Beschäftigung mit dem Thema Genderwahn“ attestieren. Oder kurz gesagt: Willkommen im Genderwahn-Wahn der Krone.

In vielen österreichischen Onlinemedien erscheint regelmäßig Werbung für illegale Online-Casinos. Dazu kommt noch Werbung für legales Glücksspiel, die oft nicht als solche zu erkennen ist. Unsere Recherche zeigt: Das sind keine Einzelfälle, sondern hat System.

Auf Gesund&fit, der Gesundheitsseite von Oe24, gibt es regelmäßig Gesundheitstipps. Vieles ist zu schön, um wahr zu sein, unnötig alarmiernd oder fragwürdig hergeleitet.

Collage diverser Headlines von oe24 gesund&fit mit fragwürdigen Gesundheitstipps

Schokolade ist gesünder als Obst, bestimmte Lebensmittel sind so gefährlich wie Rauchen und – „überraschend“ – andere machen doch nicht dick. Gute Neuigkeiten gibt es auch für alle Personen mit einer Pollen-Allergie: die kann man jetzt „easy“ selbst loswerden. So lauten einige der vermeintlichen Erkenntnisse, die auf der Gesundheitsseite des Gratisblatts Oe24 zu lesen sind.

Was gab es nicht schon an Medienberichten über vermeintlich skurrile EU-Verordnungen: Kühe dürften angeblich nur mehr mit Windeln auf die Alm, Buntstifte und Wasserfarben seien verboten oder ein Zoo müsse wegen der EU seine Kleinhirsche schlachten. Oft bleibt auf den zweiten Blick kaum etwas von diesen Headlines übrig. Gerade in der Kronen Zeitung gibt es eine gewisse Tradition, die EU als Feindbild für alles Mögliche herzunehmen und dabei mit den Fakten nicht ganz so genau zu sein, wie wir mehrfach gezeigt haben.

Die Titelgeschichte der Krone vom 9. April fügt sich nahtlos in diese Serie ein. Die Aussage „Gebrauchtwagen für EU nur Schrott“ ist schlichtweg falsch. Wir haben uns den Gesetzesvorschlag angesehen und mit einem Experten gesprochen. Dinge, die die Krone bei diesem Artikel wohl verabsäumt hat.

Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt dutzende Pressereisen organisiert und bezahlt. Über 480 Berichte in allen großen Printredaktionen sind dazu erschienen. Eine Auswertung von Kobuk zeigt, dass in nur 17,5 Prozent der Artikel transparent gemacht wird, wer diese Reise eigentlich bezahlt hat. Ein klarer Verstoß gegen den Ethikkodex des österreichischen Presserates.

Pressereisen sind so eine Sache. Bei vielen Journalist:innen sind sie beliebt – man kommt zur Abwechslung mal raus aus dem Büro und kann sich niederschwellig ein eigenes Bild von einem Ort oder einem Event machen. Wenn Politiker:innen die Reise bezahlen, dann bekommen Journalist:innen außerdem oft wertvolle Gelegenheiten, sich mit ihnen und ihren engsten Mitarbeiter:innen besser bekannt zu machen. Kontakte, die im kleinen Österreich Gold wert sein können.

Politiker:innen finanzieren solche Reisen freilich nicht ohne Hintergedanken. Sie wollen von der Berichterstattung in irgendeiner Weise profitieren. Dafür haben sie auch viele Hebel in der Hand: Sie organisieren die Reise und damit auch den Ablauf – und haben so einen großen Einfluss darauf, wer, wann, was zu sehen bekommt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass Journalist:innen auf solchen Reisen völlig frei berichten können. Dennoch stehen die Reisen quasi an der Tagesordnung – von Hanoi bis München.

Berichte im Rahmen von Pressereisen

Wir wollten für diesen Artikel eine simple Frage beantworten: Welches Medium bekommt in Österreich wie viel öffentliches Geld? Die Frage ist jedoch gar nicht so einfach zu beantworten. Denn Medienförderungen sind ein einziger, unübersichtlicher Dschungel, was die Frage nach Transparenz und Vergabepraxis aufwirft.

Wenn Medien über öffentliche Gelder und Förderungen für Medien berichten, dann oft so, dass man mit dem Finger auf andere zeigt. Die anderen bekommen viel mehr, und überhaupt viel zu viel, so der Tenor. Christian Nusser, Chefredakteur von „Heute“, umschrieb diese Mentalität einmal als „gutes Geld, das man selbst hat, und das schlechte Geld, das andere (noch?) besitzen.“ Daher folgt hier ein Versuch ganz nüchtern aufzuzeigen, wie es wirklich ist.

Dieser Artikel erscheint parallel im Falter. Co-Autoren sind Florian Klenk und Barbara Toth.

Wie ein kleines, aggressives Online-Medium mit Steuergeld und Gerüchten die öffentliche Arena mit Putin-Propaganda flutet – und dennoch von ÖVP-Ministern hofiert und finanziert wird. Eine Dokumentation. 

Putin und Russland Propaganda im Exxpress

Wer nach der Veröffentlichung diverser Korruptionsaffären wirklich geglaubt hat, regierungsfreundliche Berichterstattung gibt es nicht mehr, müssen wir an dieser Stelle leider enttäuschen. Jüngst liest sich etwa ein OE24-Artikel über die neue ÖVP-Kampagne so, als würden sie direkt aus der Parteizentrale kommen.

Heute-Chefredakteur Christian Nusser sieht seine Zeitung zu unrecht an den Pranger gestellt. Auch andere Medien haben in den vergangenen Jahren ungewöhnlich viel Inseraten-Geld vom Finanzministerium bekommen. Hat er damit Recht? Die Kurzfassung: Er hat jedenfalls nicht völlig unrecht.

Inserate aus der öffentlichen Hand sind in Österreich so eine Sache. Die Regierung kann über die Ministerien praktisch unbegrenzt viel Steuergeld an Medien überweisen. Es gibt keine Gesetze, die etwa den Rahmen, den Zweck,  oder eine verpflichtende Evaluierung über die Wirksamkeit solcher Werbeausgaben festlegen. Und sagen wir mal so: Nicht nur wir bei Kobuk hatten in den letzten Jahren immer wieder die Vermutung, dass mit diesen Geldern wohlwollende Berichterstattung gekauft wird; oder umgekehrt: Dass PolitikerInnen niedergeschrieben werden, wenn sie zu wenig bezahlen.

Seit vergangener Woche steht die Zeitung „Heute“ und ihre Herausgeberin Eva Dichand im Fokus dieses Verdachts. Der Falter hat die Causa hier und hier sehr lesenswert zusammen gefasst. Wir erinnern uns: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Thomas Schmid und Wolfgang Fellners OE24, weil dort über das „Beinschab-Tool“ mutmaßlich gefälschte Umfragen publiziert wurden. Als „Belohnung“, so der Verdacht, öffnete das Finanzministerium den Geldhahn und ließ Inseratengelder in die Kassen der Fellners fließen. Soweit, so bekannt.

Der Falter schreibt nun über den neuen Vorwurf der Staatsanwälte: „Damit der Deal, den die Türkisen mit Fellners Österreich-Gruppe mutmaßlich geschlossen haben, um Kurz mit frisierten Umfragen zu pushen, nicht auffliegt, wurden auch die Blätter der Dichands fett bedient.“

Diese Grafik aus dem Standard illustriert den Vorwurf sehr gut: