Wir lesen Zeitung
und schauen fern.

Kategorie: Kampagnenmonitor

Ein Kommentar im angesehenen Wall Street Journal lässt kein gutes Haar an den Steuerplänen Präsident Obamas, der die Besteuerung von Einkommen über $250.000 deutlich anheben will. Da sei nicht genug zu holen, die Mittelklasse würde über die meisten besteuerbaren Einkommen verfügen – That’s where the big money is – man solle doch gleich eine Massensteuer wie die Umsatzsteuer einführen oder eben weniger ausgeben.

Als Beweis, dass bei den Einkommen jenseits der $200.000 nichts zu holen sei, wird ein Diagramm gezeigt (unten links). Kevin Drum von Mother Jones fragte sich allerdings, wie dieses aussieht, wenn man die Superverdiener nicht auf sieben verschiedene Balken verteilt und zeichnete die Grafik neu (rechts):

Wie kurios diese Darstellung des Journal ist, sieht man an der Zahl der Menschen, die hinter dem letzten Balken stehen: Es sind nur 0,009% der US-Bevölkerung – während die ersten beiden Balken bis $5.000 10% der Bevölkerung ausmachen.

Glaube keinem Diagramm, das du nicht selbst gezeichnet hast.

Yilmaz‘ und Hans‘ Debatte zur Verwendung des belasteten Begriffs „Ostarbeiter“ durch die Krone hat viele Reaktionen hervorgerufen. Es zahlt sich aus, auch einen Blick auf den Inhalt dieser über mehrere Tage gehenden „Ostarbeiter“-Kampagne der Krone zu werfen. So sah die Seite 5 der Ostersonntagsausgabe aus:

Gleich im ersten Absatz steht:

Laut letzten Prognosen werden ab heute in einer Woche Zehntausende Ostarbeiter auf den heimischen Arbeitsmarkt strömen. Exakt kann die Zahl nicht vorausgesagt werden – mit bis zu 30.000 muss aber in jedem Fall gerechnet werden

Abgesehen von der merkwürdigen Formulierung („bis zu“ + „in jedem Fall“) nennt der Autor/die Autorin hier keine Quelle. Die Zahl 30.000 kann auch sonst in der medialen Berichterstattung nicht gefunden werden.

Die meisten Medien beziehen sich in ihrer Berichterstattung auf eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), die am 11.4. von Sozialminister Hundstorfer präsentiert wurde. Laut Originaltext-Service der APA erwartet man auf Basis dieser Studie 21.000 – 26.000 Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern. Für welchen Zeitraum diese Zahl gilt ist nicht vermerkt. Auch die „Qualitätsmedien“ sind sich diesbezüglich nicht einig:  Derstandard.at nennt 15.000 auf die ersten beiden Jahre, Diepresse.com bezieht die Zahl 21.000 – 26.000 ebenso in den ersten beiden Jahren, beide berufen sich auf Klaus Novotny vom Wifo.

Im zweiten Absatz bezieht sich die „Krone“ ebenso aufs Wifo:

Mit diesem ersten Ansturm [also die „bis zu 30.000“] ist es jedoch nicht getan, denn laut Wifo Studien werde es sich um ein längerfristiges Phänomen handeln: In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren wird damit gerechnet, dass jährlich etwas mehr als 20.000 junge Arbeitskräfte aus dem Osten Interesse an Arbeit in Österreich zeigen werden.

Abgesehen davon, dass auch diese Angabe nirgends eine Entsprechung findet, ist die Formulierung irreführend. Der Leser/ die Leserin bekommt leicht den Eindruck, nach dem ersten Ansturm  (bis zu 30.000) kämen pro Jahr nochmals 20.000 dazu. „Interesse zeigen“ kann allerdings nicht mit tatsächlichem Arbeiten in Österreich gleich gesetzt werden.

Auf der selben Seite findet sich ein Kommentar, das ein „Faules Osterei aus dem Osten“, das unvermeidliche Wolf-Martin-Gedicht zum Thema sowie die Warnung: „Auch Tunesier sind schon im Anmarsch“.

In der Oberösterreich-Ausgabe der „Krone“ vom 28.4. wurde wieder einmal das Märchen vom EU-Kräuterverbot – pünktlich zum Ablauf der siebenjährigen Übergangsfrist – aufgewärmt:

Die sogenannte „Traditional Herbal Medicinal Products Directive“ wurde bereits im April 2004 beschlossen – am 30.4. endet lediglich die Übergangsfrist für Produkte, die vor Gesetzesbeschluss auf den Markt kamen. Diese Richtlinie dient der Vereinfachung und Vereinheitlichung des Registrierungsverfahrens für Fertigarzneimittel auf pflanzlicher Basis – durch Qualitätstests soll verhindert werden, dass Wirkstoffe auf den Markt gebracht werden, deren Auswirkung auf den Menschen unzureichend geklärt sind. Um ein Verbot von traditionellen pflanzlichen Wirkstoffen ist es dabei nie gegangen.

Die Krone fürchtet um den traditionellen „Heilschatz“ und lässt dabei folgende Passagen des Gesetzestexts (wissentlich?) völlig außer Acht:

Hat ein Arzneimittel eine lange Tradition und ist die Wirksamkeit des Arzneimittels aufgrund langjähriger Anwendung und Erfahrung plausibel, so kann die Zahl der Fälle, in denen klinische Prüfungen verlangt werden müssen, reduziert werden. Vorklinische Tests scheinen unnötig, wenn das Arzneimittel aufgrund der Informationen über seine traditionelle Anwendung unter festgelegten Anwendungsbedingungen nachweislich unschädlich ist. […] Die vereinfachte Registrierung sollte nur dann zulässig sein, wenn das pflanzliche Arzneimittel in der Gemeinschaft ausreichend lange medizinisch verwendet wurde. Die medizinische Verwendung außerhalb der Gemeinschaft sollte nur dann berücksichtigt werden, wenn das Arzneimittel eine Zeit lang in der Gemeinschaft verwendet worden ist.

Kräuterhexen und Naturheilmittelkundler driften also nicht in die Illegalität ab, wenn sie ihre Heilkräuter anbauen und weiterverarbeiten ohne klinische Tests an ihnen durchführen zu lassen. Und Apotheker, die mit traditionellen Naturheilmitteln arbeiten schon gar nicht.

Seit Herbst 2010 geistert dieser Hoax durch das Netz und wurde in einigen Artikeln bereits aufgezeigt. Trotzdem wird dieser Artikel wieder Wasser auf den Mühlen der Initiatoren der entsprechenden Petition sein, die gegen ein Gesetz ankämpfen, das sie offenbar selbst nicht ganz verstanden haben.

Die Gratiszeitung „Heute“ scheint einen besonderen Draht zu der aufgrund einbrechender Zahl an Mitgliedsbeiträgen in argen Finanznöten befindlichen katholischen Kirche zu haben – oder auch umgekehrt.

So findet sich am 18.3. auf Seite 5 eine Notiz zum „Papst-SMS“ (Ja, gleich neben einem Artikel zur Lage in Libyen, in der selben Länge):

In der selben Ausgabe findet sich gleich auf der nächsten Seite ein Leserbrief, der Stimmung für das Symbol „Kreuz“ macht (anlässlich der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bezüglich der Kreuze im Kindergarten):

Auf Seite 10 folgt dann die seit 2006 fixe Rubrik „Antworten“ von Kardinal Schönborn, der zur Katastrophe in Japan Stellung nimmt und mit einer Einladung zum Gottesdienst für Japan im Stephansdom abschließt:

Zum Verwechseln ähnlich mit dem Einspalter oben bewirbt erklärt „Heute“ nur 3 Tage später wieder die Himmelbotschaft per SMS: Eine Kurzmeldung auf Seite 10 vom 21.3.: „Das tägliche Papst-SMS während der Fastenzeit“, dazu ein Bild von Ratzinger:

Zitat: „Anmeldung erfolgt per SMS : Kennwort PAPST an die Nummer ☎ 0664/6606651.“ Gut zu wissen…

Aber um auf Nummer Sicher zu gehen, dass auch alle Schäfchen über das SMS-Service informiert sind, folgt am 22. 3. auf Seite 2 unter „Das Neuste kurz“ (!) das Papst-Zitat des Tages, betitelt mit „Täglich eine SMS von Papst Benedikt XVI.“

Zum Glück schreibt der Papst aber nicht bloß SMS sondern auch Bücher: Als erste Meldung unter „Das Neuste kurz“ auf Seite 2 (!) am 2.3. : „Neues Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI.“ :

Eine traurige Story findet sich auf Seite 10 der Heute vom 9.3.: „Herrgott, warum sind in Wien alle Kirchen zu?“ von Lisa Steiner:

Zitat:

Ein Großteil der 220 Pfarren in der Stadt sperrt die Tore ihrer Kirche nur zu den Messzeiten auf. Der traurige Grund: Sicherheits- und Personalmangel! (…) Und Überwachungskameras kann man sich nicht leisten.

Wenn eine gebürtige Türkin in Österreich ein Kopftuch trägt, ist das, so meinen viele in dem Land, nicht in Ordnung. Wenn eine gebürtige Türkin ein Dirndl trägt, ist das auch nicht in Ordnung – zumindest wenn es nach „Kronen Zeitung“-Kolumnist Michael Jeannée geht. Erst recht, wenn jene gebürtige Türkin Alev Korun heißt, und Abgeordnete zum Nationalrat und gar noch von den Grünen ist.

Am 21. Oktober 2009 trug Korun in einer Sitzung des Nationalrats Tracht – Herr Jeannée bzw. die „Kronen Zeitung“ widmete dieser Outfit-Wahl gar eine ganze Seite in einer darauffolgenden Ausgabe.

Fast eineinhalb Jahre später – am 11. März 2011 – scheinen die Damen und Herren der „Kronen Zeitung“ diese „Provokation“ von Alev Korun noch immer nicht verkraftet zu haben. In der Rubrik „Politik Inoffiziell“ nahm sich Peter Gnam der Diskussion um die Wehrpflicht in Österreich an, sowie im letzten Absatz des Artikels verpflichtenden Deutschkursen für fremdsprachige EinwanderInnen.

Wie nicht anders zu erwarten, holte sich [ÖVP-Klubchef Karlheinz] Kopf von türkischen Offiziellen eine kalte Abfuhr – ihm wurde erklärt, dass Deutschkurse für Türken im Ausland ‚eine Provokation‘ seien und ‚ein Türke immer ein Türke bleiben werde‘. Das hat uns die grüne Abgeordnete Korun ja im Parlament schon ‚vorgespielt‘, als sie dort im Dirndl auftrat, um Österreich und unsere Trachtentradition zu verspotten.

Inwiefern Alev Korun allerdings mit ihrem Auftritt im Dirndl – der übrigens ansonsten niemanden wirklich aufregte – zeigte, dass „ein Türke immer ein Türke bleiben werde“ oder in welchem Zusammenhang die Kleidungswahl einer Nationalratsabgeordneten mit der Frage nach verpflichtenden Deutschkursen steht, bleibt fraglich…

Danke an Seimon S. für den Hinweis auf Facebook!

Für Österreich besteht durch die Unfälle bzw. Störfälle in Japans Atomkraftwerken keine Gefahr durch eine „Atom-Wolke“ – darüber sind sich ExpertInnen sowie zahlreiche Medien Österreichs einig. Auch Umweltminister Nikolaus Berlakovich erklärte in einer OTS-Aussendung, dass Österreich nicht gefährdet sei. Einer etwas anderen Meinung ist man da bei „Österreich“:

Eine Gefahr soll demnach schon jetzt (!) bestehen:

Fischstäbchen könnten schon kontaminiert sein. (..) Auch Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Reis aus der Region Südostasien, die nach Österreich importiert werden, sollte man in der nächsten Zeit meiden.

In einem Gespräch mit DerStandard.at verneinen ExpertInnen des Gesundheitsministeriums derzeitige (!) Gefahren durch Nahrungsmittel:

Da der Import so gut wie immer per Schiff erfolgt und Tage dauert, sind alle Produkte, die jetzt in Österreich erhältlich sind, unverseucht.

Also: Obst, Gemüse und Reis – sowie die beliebten Fischstäbchen – können nach wie vor ohne Gefahren genossen werden.

(Via Ingrid Brodnig.)

Am Sonntag war in der Printausgabe der „Kronen Zeitung“ ein Bericht zu lesen, laut dem eine „Türkenbande“ fünf Jugendliche überfallen haben soll. Wie sich herausstellt, besteht die ganze Story aus zusammengewürfelten Halbwahrheiten.

Türkenbande beraubte mit Messern fünf Jugendliche

Ob es sich bei den TäterInnen um TürkInnen handelt, ist unklar. Die Polizeidirektion Wien bestätigt, dass derzeit lediglich eine TäterInnenbeschreibung der Opfer vorliegt. Es wurde also Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Allerdings sagten die Opfer aus, die TäterInnen hätten einen „türkischen Akzent“ gehabt.

Wieder schlug eine dieser skrupellosen Migrantenbanden, die unbehelligt in Wien ihr Unwesen treiben, zu.

Die Formulierung der Krone legt nahe, dass die TäterInnen wiederholt Straftaten begehen. Ob es sich tatsächlich um eine „skrupellose Bande“ handelt, die unbehelligt in Wien ihr Unwesen treibt, ist reine Spekulation. Ebenso möglich ist, dass es sich um eine Gruppe Jugendlicher handelt, die erstmals straffällig geworden sind.

derartige Coups gehören auf Wiens Straßen mittlerweile zur Tagesordnung

Falsch. Die Polizeidirektion Wien bestätigt auf Anfrage von Kobuk, dass derartige Vergehen in Wien „ganz sicher nicht“ täglich passieren. Wie oft genau, kann gar nicht gesagt werden, da diese Art der Anzeigen nicht gesondert in einer Statistik erfasst werden. Die Jugendkriminalität (pdf) ist jedenfalls seit 2006 um 18% gesunken, wobei von 2009 auf 2010 ein minimaler Anstieg (0,1%) an Anzeigen registriert wurde.

Die sieben halbwüchsigen Türken (…) zückten feige ihre Messer und raubten ihren eingeschüchterten Opfern die Messer.

Sieben böse Türken, haben also fünf armen Opfern die Messer geklaut? Freilich nicht. Es wurden bei dem Vergehen zwei Handys gestohlen. Weiter oben hat die Krone das allerdings richtig geschrieben.

Inzwischen wird der Ruf nach hartem Durchgreifen immer lauter: FPÖ-Mandatar Erich Königsberger: „Wir müssen die ausländischen Banden stoppen und sofort abschieben.“

Der „türkische Akzent“ der TäterInnen ist ein Hinweis, dass es sich nicht um junge TürkInnen („Jungtürken“ sowieso nicht), sondern um „Jungösterreicher“ handelt. Nur 4,6% der MigrantInnen der zweiten Generation sind türkische StaatsbürgerInnen. Für die dritte Generation (beide Elternteile in Österreich geboren) gibt es so eine Statistik gar nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sicht nicht um eine ausländische „Bande“ sondern eine heimische handelt, ist also hoch. Und nur weil ein österreichischer Staatsbürger Eltern oder Großeltern hat, die in der Türkei geboren sind, kann man ihn nicht einfach dorthin abschieben. Das weiß hoffentlich auch Erich Königsberger, der neben seiner Tätigkeit als FPÖ-Politiker als Polizist arbeitet.

Danke an die Twitteruser @kellerabteil und @thebalancebeam, die mich auf den Krone Artikel aufmerksam gemacht haben.

Wie viele Fehler passen in eine Titelgeschichte von “Heute”? Die Frage ist auf Kobuk nicht neu, der Highscore dieser Story vielleicht schon:

Polizei fasst

Fast. „Heute“ vergisst, dass es sich bei Unter-Zehnjährigen um strafunmündige Kinder handelt. Die Polizei darf diese im Normalfall gar nicht „fassen“, sondern nur als tatverdächtig ermitteln und in der Statistik er-fassen.

jeden Tag

Fast. Im zugrundeliegenden Zeitraum von Jänner bis Ende September hatten wir 273 Tage, aber laut Bericht nur 231 Tatverdächtige im Volksschulalter. Knapp eineinhalb Monate lang bekam die Polizei also kein einziges Kind zu fassen. Da hätte man sich ja mal der notorisch kriminellen Rechenleistung von „Heute“ annehmen können.

ein Krimi-Kind

Kriminell auch das Sprachgefühl von „Heute“. Abgesehen davon halten Fachleute die Charakterisierung kleiner Kinder als kriminell für äußerst problematisch, da dieser sehr „erwachsene“ Begriff und die ihm innewohnende juristische Beurteilung dem kindlichen (Fehl-)Verhalten meist nicht gerecht wird. Daher hat sich in diesem Bereich die Bezeichnung Kinderdelinquenz statt -kriminalität durchgesetzt. Aber ich möchte „Heute“ nicht langweilen.

Noch keine 10 Jahre alt, aber gewalttätig

Bevor wir beim nächsten Volksschüler aus Angst die Straßenseite wechseln, empfehle ich diesen Humorklassiker über die Schule von damals und heute. Denn hätte man schon zu meiner Volksschulzeit all unsere Gewalttaten — vom Haarabschneiden (ja, auch eine Körperverletzung), über den täglichen Raufhandel, bis zum ausgeschlagenen Milchzahn — mit dem StGB verfolgt, hätten wir im Jahr auch locker 200 Anzeigen zusammenbekommen. An einer Schule. Ob es bei den „Heute“-Redakteuren wirklich so viel friedlicher zuging?

Die Zahl der Straftaten stieg

Das ist insofern spannend, als es dazu gar keine Statistik gibt. Daher können seriöse Experten auch nicht sagen, ob die Gewalt unter Kindern gerade steigt oder sinkt. Selbst zu langfristigen Tendenzen gibt es abseits der Stammtische, und allen Horrormeldungen zum Trotz, keine gesicherten Erkenntnisse.

Kein Hindernis für „Heute“. Das Blatt nimmt einfach die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Innenministeriums. Das ist aber ungefähr so, als würde man versuchen, aus dem Heizölverbrauch Rückschlüsse auf den Klimawandel zu ziehen. Denn bei der PKS handelt es sich um eine reine Anzeigenstatistik.

Das größte Problem: Sie deckt nur das sogenannte Hellfeld der Kriminalität ab. Taten, die nicht angezeigt werden, bleiben im Dunkeln. Und wird mehr angezeigt, ist nicht zwangsläufig die Kriminalität im selben Maße gestiegen, manchmal wird auch nur das kaum veränderte Dunkelfeld besser ausgeleuchtet.

Denn steigende Zahlen können z.B. ebenso gut einer höheren (oft medial befeuerten) Sensibilität und Anzeigebereitschaft geschuldet sein. Oder auch einer (oft medial befeuerten) neuen Schwerpunktsetzung der Polizei. So stieg in den 90er Jahren in Wien die Zahl der 10- bis 13-jährigen Tatverdächtigen um die Hälfte an, nachdem ein eigenes Referat zur Bekämpfung von Jugendkriminalität eingerichtet worden war.

um 50 Prozent

Da sich mit einem Vorjahresvergleich — da wäre der Anstieg nur ca. 0,7 (!) Prozent — keine Schlagzeile machen ließe, überspringt „Heute“ einfach ein paar Jahre und vergleicht die Zahl von 2010 mit jener von 2005. Ein alter Trick aus dem Hause Dichand.

Aber selbst da ist noch interessant, wie „Heute“ auf 50 Prozent kommt. Dazu steht im Artikel:

[…] Die Zahl gewalttätiger Kinder unter 10 (!) Jahren steigt in Österreich seit fünf Jahren rasant an. Wurde im gesamten Jahr 2005 gegen 217 Tatverdächtige im Volksschulalter ermittelt, waren es von Jänner bis September 2010 bereits 231. Rechnet man diese aktuelle Zahl hoch, könnte es bis Jahresende ein erschreckendes Plus von 49,3 % geben.

Der Autor hat hier die ersten drei Quartale aufs ganze Jahr hochgerechnet. Und ohne komplexe Prognoserechnung — ich denke, die können wir bei „Heute“ ausschließen — geht das eigentlich nur so:

231 / 3 x 4 = 308

Das wäre ein Anstieg von 217 auf ca. 308 Tatverdächtige, also um etwa 41,9 Prozent. Deutlich unter den von „Heute“ erfundenen errechneten 49,3 Prozent.

Im Vorjahr (PDF) waren’s übrigens 306. Sollten die 308 für heuer einigermaßen zutreffen, erwartet uns, wie schon erwähnt, ein rasanter Anstieg der Anzeigen von ca. 0,7 Prozent, wenn überhaupt. Wie soll man so vernünftige Schlagzeilen zum Thema Kindergewalt machen?

Außerdem hat „Heute“ es doch sogar amtlich — womit wir bei der letzten Zeile des Aufmachers wären:

Jugendrichterin warnt: „Die Hemmschwelle beim Zuschlagen sinkt“

So eine Autorität unterstreicht zweifellos die Dramatik und Glaubwürdigkeit der geschilderten Entwicklung. Da ist es auch nebensächlich, dass eine Richterin kaum fachliche Erfahrung mit strafunmündigen (!) Volksschülern haben dürfte…

Cui bono?

Basis der „Heute“-Schlagzeile von Dezember war die Beantwortung einer FPÖ-Anfrage durch Innenministerin Fekter im Parlament. Und Basis der FPÖ-Anfrage im Parlament war eine „Heute“-Schlagzeile von September (damals ging’s um die 10- bis 14-Jährigen):

Kinder: 56 Prozent mehr Gewalttaten
Vor allem Körperverletzung und Raub: Allein im Vorjahr begingen Sprösslinge zwischen 10 und 14 Jahren 1630 Gewalttaten …

„Vor allem“ … eine freie Erfindung der Redaktion. Denn „Heute“ zitierte aus der Statistik die Summe der „Handlungen gegen Leib und Leben“. Darin ist Raub gar nicht enthalten. Dieses Verbrechen fällt in der Kriminalstatistik (PDF) in einen völlig anderen Abschnitt, nämlich „Handlungen gegen fremdes Vermögen“, und nimmt dort mit 117 Verdächtigen auch keine führende Stellung ein (die haben dort gewöhnlicher Diebstahl und Sachbeschädigung).

… 56 % mehr als noch 2004

Und auch damals sprang das Gratisblatt ein halbes Jahrzehnt zurück in der Zeit. In diesem Fall besonders perfide, denn der Vorjahresvergleich mit 2008 (PDF) hätte diese erfreuliche Schlagzeile gebracht:

Kinder: 7,4 % weniger Gewalttaten

Aber dann hätte es vielleicht gar keine Anfrage im Parlament gegeben. Und ohne die keinen um Monate vorgezogenen (Zwischen-)Bericht aus dem BM:I. Und ohne den kein vierteljährliches „Heute“-Update mit den neuesten Gewalt-Daten unserer Jugend. Und ohne das weniger Leser. Weniger Anzeigen. Weniger „Heute“…

Weniger Kobuk.

Es ist eines dieser Urteile, die man sonst nur aus Amerika “kennt”: Weil ein Rentner beim Rasenmähen fröhlich jodelte, und damit seine muslimischen Nachbarn im Gebet störte, wurde er von einem Grazer Gericht zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt.

So jedenfalls berichtete es die Kronen Zeitung diesen Sonntag:

Das Leserforum unter dem Artikel musste mittlerweile geschlossen werden, weil „gegen die Netiquette verstoßende Postings überhandgenommen“ hätten. Ein Euphemismus, der in der Regel andeutet, dass die Moderation mit dem Löschen strafrechtlich relevanter Kommentare nicht mehr nachkam.

Doch wenn die Krone ihre Foren schließt, blüht ihre Saat in anderen erst auf. Manche dort haben Herrn G. dann sogar angerufen und ihm finanzielle Unterstützung für seinen Kampf gegen das Urteil angeboten. Doch das wolle er nicht annehmen, berichteten die Anrufer — und das hat einen guten Grund…

Es gibt nämlich gar kein Urteil. Doch der Reihe nach:

Der Freitag

Helmut G. mähte an einem Freitagnachmittag auf seinem Grundstück in Graz den Rasen. „Und weil ich so gut gelaunt war, hab ich dazu gejodelt und ein paar Lieder angestimmt“, erzählt der Pensionist.

Herr G. dürfte ein überaus fleißiger Rasenmäher und Jodler gewesen sein, deutet man unter Verweis auf die Unschuldsvermutung bei jenem Grazer Gericht an, das den Fall verhandelt hat.

Fast ein ganzes Jahr lang, von 2009 bis Sommer 2010 habe er regelmäßig an Freitagen, immer zur Gebetszeit seiner Nachbarn, den Rasen gemäht und dabei „fröhlich“ gejodelt. Oder auf andere kreative Art das Gebet seiner Nachbarn lautstark gestört und verhöhnt, heißt es sinngemäß in den erhobenen Vorwürfen. Auch nachdem die Lautsprecherübertragungen der Gebete in den Garten längst eingestellt waren, soll er sein Treiben noch monatelang fortgesetzt haben.

Die Anzeige

Das passte seinen Nachbarn, gläubigen Moslems, gar nicht. […] Einige fühlten sich von dem rasenmähenden 63-Jährigen in ihrer Religionsausübung gestört – und zeigten ihn prompt bei der Polizei an.

Die Anklage erfolgte nicht auf Betreiben der Muslime. Nachdem die Polizei auf ihre Bitte mehrmals eingeschritten war, hielt sie es aber für nötig, die Vorfälle an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, musste diese dann von sich aus ein Verfahren einleiten. Aus den Akten gehe laut Gericht hervor, dass die Muslime stets auf eine einvernehmliche Lösung gedrängt hätten.

Das „Urteil“

[Das Gericht] verurteilte einen Pensionisten (63) […] „In der Begründung hieß es, mein Jodler habe wie der Ruf eines Muezzins geklungen“, schüttelt Helmut G. fassungslos den Kopf.

Es gibt keine Verurteilung und damit auch keine Urteilsbegründung. Das Strafverfahren wurde nach Diversion, gegen Zahlung einer Geldbuße, eingestellt. Für Herrn G. gilt daher bezüglich aller genannten Vorwürfe weiterhin die Unschuldsvermutung. Auch wenn er selbst der Diversion ausdrücklich zugestimmt hat.

Epilog

In einem Folgeartikel rühmte sich die Krone gestern, unser Land über die Grenzen hinaus mit ihrer „Exklusivstory“ lächerlich gemacht zu haben:

Vom „irren Jodel-Prozess in Österreich“ berichtet die „Hamburger Morgenpost“, „skurril“ nennt der deutsche „Express“ das umstrittene Urteil: Die „Steirerkrone“-Exklusivstory über den Moslem-Streit in Graz […] schlug Wellen bis über die Landesgrenzen hinaus!

Sogar Johannes B. Kerner wolle den Rentner jetzt in seine Show einladen, heißt es. Na, dann kriegen unsere Freunde vom BILDblog ja vielleicht auch noch was zu tun…

[Update 15:07] krone.at hat alle Artikel zu dieser Geschichte offline genommen (heute war kurzzeitig noch ein dritter Bericht über HC Strache hinzugekommen, der sich über das „Urteil“ empöre und anbot, dem Rentner die Strafe zu bezahlen.)

[Update 22:10] Der Standard zitiert Kobuk in seiner morgigen Printausgabe, worüber wir uns prinzipiell freuen. Allerdings hat der Rentner nicht „ein Jahr täglich“ beim Rasenmähen gejodelt, wie das Blatt schreibt, sondern „nur“ wiederholt an Freitagen die Gebete gestört und das — wie ebenfalls bei uns zu lesen ist — durchaus auch mit anderen kreativen Methoden.

[Update 23:30] Der Standard hat den Artikel tlw. korrigiert und lässt den Rentner nun nicht mehr täglich Rasenmähen.

[Update 4.12.] Die Obersteirischen Nachrichten (ON) verbreiten die Krone-Story noch am 2.12. ungeprüft in ihrem Leitartikel weiter. Er schließt mit der Frage: „Wie dumm sind wir Österreicher samt unseren Gesetzen eigentlich“…? (Danke an Wolfgang K. für den Hinweis)

Stefan Bachleitner ist Politikberater in Wien. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog Politikon.


„Heute in Österreich“ (19.11. 17:05, ORF 2)Der ORF lässt einen dubiosen „Terrorexperten“ auf dem Wiener Christkindlmarkt vor Anschlägen warnen, Muslime werden dabei live unter Generalverdacht gestellt. Ein Musterbeispiel für Angstmache.

In Deutschland herrscht Angst, Terrorwarnungen dominieren die Schlagzeilen. Zwar ist noch unklar, wie konkret die Gefährdungslage tatsächlich ist, doch so wie sich manche Politiker verhalten, funktioniert Terror sogar ganz ohne Terroristen.

In Österreich lieferte nun ausgerechnet der ORF ein Musterbeispiel dafür, wie sich Ängste schüren und instrumentalisieren lassen: Die vorgestrige Ausgabe der Nachrichtensendung „Heute in Österreich“ stellte die Frage „Terrorgefahr in Österreich?“ und gab darauf eine Antwort, die eher in eine „Tatort“-Folge gepasst hätte als in eine Nachrichtensendung.

Obwohl derzeit keine einzige heimische Behörde von einer höheren Gefährdung in Österreich ausgeht, wird der Beitrag mit folgendem Hinweis eröffnet:

„Gleich mehrere Terrorexperten sprechen auch bei uns von einer erhöhten Gefahr von Anschlägen in größeren Städten.“

Diese „Experten“ kommen dann in dem Beitrag auch ausführlich zu Wort. Dabei handelt es sich u. a. um den dubiosen Geschäftsmann Peter Schoor, der in dem Beitrag als „Terrorexperte und Buchautor“ ausgewiesen wird und folgendes sagen darf:

„Den Terroristen heute ist das egal. Es geht heute darum, möglichst viele Menschen zu töten, zu verletzen, eine psychische Wirkung zu erzielen. Und wenn ich diese Wirkung erreiche, indem ich mir einfache Ziele wie zum Beispiel in Österreich aussuche, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht.“

Schoor, der laut Beschreibung seines Verlags „seit mehr als 30 Jahren im internationalen Umfeld von Polizei, Militär und Politik aktiv“ ist (was immer das heißen mag) und sich beruflich „an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Sicherheit“ bewegt (was immer das heißen mag), hat nur ein einziges echtes Buch auf den Markt gebracht. Es ist heuer erschienen und der Titel „Im Auge des Terrors: Wie viel Islam verträgt Europa?“ deutet an, dass Terrorbekämpfung für ihn auch eine religions- und kulturpolitische Dimension hat.

Nach Schoor wird ein gewisser Hans-Ulrich Helfer mit der Untertitelung „Journalist, Zürich“ interviewt, der meint:

„Ich glaube, dass wir – Schweiz und Österreich – nicht glauben sollen, dass wir kein Ziel sind. Das heißt, dass wir genau so achtsam sein müssen wie Deutschland oder England oder Belgien oder Spanien. Das ist die gleiche Bedrohungslage.“

Die bescheidene Bezeichnung „Journalist“ wird Helfer eigentlich nicht gerecht. Der ehemalige Staatsschützer der Stadt Zürich betreibt ein Unternehmen zur Beschaffung und Auswertung von Informationen (was immer das heißen mag), macht als Präsident der „Informationsgruppe Pro-Kampfflugzeuge“ Stimmung für die Anschaffung von schwerem Kriegsgerät und ist stolz darauf, bei den Schweizer Big Brother Awards im Jahr 2003 für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden zu sein.

In Kooperation mit dem ORF gelingt es den beiden, entgegen aller behördlichen Erkenntnisse ein Gefühl erhöhter Bedrohung zu vermitteln. Mangels konkreter Fakten wurde das Gefährdungspotenzial in Österreich durch einen spektakulären Test belegt. Mit versteckter Kamera filmte der ORF, was in Wien mit einem unbeaufsichtigten Rucksack – „groß genug für einen Sprengsatz“ – passiert, der vor dem Stephansdom abgestellt oder in der U-Bahn vergessen wird. Vor zwanzig Jahren hätte man mit einem solchen Test noch bewiesen, dass Wien eine der sichersten Großstädte der Welt ist, denn obwohl niemand darauf aufgepasst hat, wurde die Tasche nicht geklaut.

Der absolute Höhepunkt des Beitrags ist dann aber ein dramatischer Live-Einstieg in die „schöne heile Weihnachtswelt am Christkindlmarkt in Wien“, wo Peter Schoor seine antiislamische Weltsicht ausbreiten darf. Der Beginn des Interviews sei nachfolgend komplett wiedergegeben:

Katharina Kramer: „Herr Schoor, die Behörden haben keine Hinweise auf Terroranschläge in Österreich. Warum glauben Sie trotzdem an eine Terrorgefahr?“

Peter Schoor: „Nun, wir haben in Österreich 586.000 Muslime. Davon sind etwa 70.000 bereit, die Einführung einer Scharia nach europäischem (sic!) Vorbild einzuführen. Was mir Sorge macht ist die Dunkelziffer, weil es ist völlig unbekannt, wie viele davon auch wirklich bereit sind, das mit Gewalt umzusetzen.“

Schoor hatte sich wohl schon einen Glühwein genehmigt, sonst wäre ihm der Versprecher mit der Scharia nach „europäischen Vorbild“ wohl nicht passiert. Die Botschaft ist aber auch so angekommen: Weihnachten, Christkindlmarkt und Stephansdom werden von abertausenden Muslimen gefährdet. In meinen Augen ist dieser Beitrag meilenweit von den Programmrichtlinien des ORF entfernt, laut denen sich ORF-Angebote „um Integration, Gleichbereichtigung und Verständigung zu bemühen“ haben.

P. S.: In abgewandelter Form, allerdings ohne Live-Einstieg, wurde dieser Beitrag auch in der ZIB 1 und der ZIB 2 veröffentlicht.

Update 31. März 2011: Vier Monate später hat sich der ORF-Beschwerderat mit dieser Sache auseinandergesetzt – ohne auf alle wesentlichen Punkte einzugehen.