Am 1. September berichtete die Financial Times über GPS-Sabotage im Flugzeug von Ursula von der Leyen. Der Flugradar-Dienst Flightradar24 widerspricht und sieht keine Unregelmäßigkeiten. Die Fakten beinhalten viele Grau-Töne, die in den meisten Medien zwischen Alarmismus und „Fake News“-Rufen untergehen.
Henry Foy ist Chef des Brüssel-Büros der Financial Times. Er hat Ursula von der Leyen zuletzt auf ihrer viertägigen Tour durch Osteuropa begleitet. Am Sonntag, den 31. August, sind sie von Warschau nach Bulgarien geflogen. Aber im Landeanflug auf die Stadt Plovdiv im Zentrum des Landes passierte etwas Merkwürdiges: „(…) we lost altitude. We came down to praying for landing, and then all of us on board realised that we were circling the airport. We had been for a while“, erzählt Foy zwei Tage später im hauseigenen Podcast FT News Briefing.
An Boden erfahren sie, warum: Es habe Probleme mit dem GPS-System gegeben. Der Pilot musste das Flugzeug „mit Hilfe von Karten“ landen, so Foy. Die EU-Kommission und die Bulgarische Flugsicherungsbehörde bestätigten seinen Bericht. Der Verdacht: Russland könnte, wie in anderen dokumentierten Fällen, dahinterstecken. Es handle sich womöglich um „GPS Jamming“. „Jammer“ sind Störsender, die das Signal von GPS-Satelliten überlagern. Pilot:innen haben dann Schwierigkeiten, die genaue Position des Flugzeugs zu bestimmen.
Weltweit – und damit auch in Österreich – berichten Medien über den mutmaßlichen Angriff. Sie zitieren aus dem Bericht, den Foy für die Financial Times verfasst hat.
„Möglicher russischer Angriff: GPS bei Flugzeug von Von der Leyen lahmgelegt“ tickert Der Standard zum Beispiel live. Und weiter: „Wie die ‚Financial Times‘ berichtet, musste das Flugzeug eine Stunde in der Luft über einem bulgarischen Flughafen kreisen, ehe es anhand von Papierkarten landete.“
Im Kurier heißt es sogar, das „Flugzeug mit von der Leyen musste notlanden“, auch wenn von einer „Notlandung“ gar nie die Rede war.
Alles falsch?
Doch nur wenige Stunden nachdem Foy seinen Artikel veröffentlicht hat, meldet sich die als seriöse Quelle anerkannte Flugtracking-Plattform Flightradar24 auf X zu Wort: Sie hätten keine Hinweise auf gestörte GPS-Signale während des Von der Leyen-Flugs – genauso wenig wie für die in der Financial Times-Geschichte behauptete „eine Stunde“ Verspätung. In Wahrheit sei das Flugzeug nur neun Minuten verspätet gelandet.
Die Aufregung ist groß. Ist die Geschichte ein Fake? Mancherorts ist man sich schnell sicher: „Von der Leyen verbreitet Fake News? Kein GPS-Ausfall, kein russischer Angriff“ schreibt zum Beispiel der Exxpress. Für rechte Blogs wie Report24 hat Flightradar24 damit „Brüssels GPS-Märchen“ entlarvt.
Und tatsächlich können einige Details so nicht stimmen. Zum Beispiel, dass die Passagiere eine Stunde in der Luft ausharren mussten. Bei Flightradar24 greift man auf sogenannte ADS-B-Transponder in den Flugzeugen zurück. Diese senden regelmäßig Daten wie Position, Höhe und Geschwindigkeit. Eine Verzögerung um eine Stunde würde sich darin zeigen – die gab es aber nicht.
Die Financial Times ändert ihren Artikel dahingehend erst mehr als eine Woche später – und das nur halbherzig. Noch immer ist von „einer Stunde Herumkreisen“ die Rede. Die Verspätung präzisiert man nun aber mit 23 Minuten.
Eine zweite Ungereimtheit sind die „Papierkarten“, die die Piloten angeblich verwenden mussten. Die Piloten sind ohne Probleme mit dem Instrumentenlandesystem (ILS) gelandet, schreibt Flightradar24. „Eine Landung erfolgt entweder manuell oder, sofern vorhanden, unterstützt mit ILS“, bestätigt uns auch Gregor Möller von der TU Wien. Er ist dort Experte für Satellitennavigation. „Ab 60 Meter über der Landoberfläche ist eine Landung mit GPS allein derzeit noch nicht möglich.“
Was die Fake-News-Gerüchte anheizt: Die wenigsten Medien korrigieren ihre ursprünglichen Berichte. Die APA berichtet zum Beispiel gar nicht über die Kritik an der Financial Times-Geschichte.
Keine endgültige Antwort
Zunächst finden wir einzig im Bericht der Presse vom 1. September einen Absatz zu den Flightradar-Informationen. Vier Tage später liest man dann erstmals auch in der Kronen Zeitung und dem Standard über die Bedenken an der Ursprungsstory.
Im Standard lautet der Titel: „Kein GPS-Jamming: Bulgarien zieht Behauptung zu Angriff auf Von-der-Leyen-Flug zurück“. Darin wird der bulgarische Vizepremier und Verkehrsminister Grosdan Karadschow zitiert. Nur: Die bulgarische Regierung ruderte wenig später wieder zurück: Eine Störung sei doch nicht auszuschließen. Den Rückzug vom Rückzug hat man beim Standard offenbar nicht mitbekommen.
Die Zeitung schreibt online außerdem, eine „Untersuchung“ würde zeigen, „dass es keinerlei ungewöhnliche Störung gab“. Auf welche „Untersuchung“ bzw. „Analyse der Aufzeichnungen des Flugzeugs“ sich der Standard bezieht, wird nicht ausgeführt.
In Wahrheit lässt sich nach heutigem Wissen eine GPS-Störung genauso wenig ausschließen wie sie sich bestätigen lässt. Kobuk hat sich alle Informationen der vergangenen Woche angesehen und mit einem Experten gesprochen. Die ernüchternde Erkenntnis: Es gibt keine endgültige Antwort.
„GPS-Probleme“ bestätigt
Wir müssen dazu in die Welt der GPS-Signale eintauchen – es wird also kurz technisch. Mittels GPS wird die Position über Entfernungsmessungen zu den Satelliten bestimmt. Wie bereits erwähnt, gibt es Störsender, oder „Jammer“, die diese Signale überlagern können. Für Pilot:innen im Cockpit heißt das: Die GPS-Signale werden von einem starken Rauschen überdeckt, was dazu führt, dass mit GPS nicht mehr navigiert werden kann.
Möller von der TU Wien bezeichnet Jamming als die „einfache“ Variante. Es gibt nämlich noch eine zweite, gezieltere (und ebenso illegale) Möglichkeit, GPS-Signale zu stören: Spoofing. „Das ist ein Sender, der nicht nur ein Rauschen generiert, sondern echte GPS-Signale nachahmt“, so Möller. Damit wird die Position, die der oder die Pilot:in sieht, gezielt verfälscht.
Wenn nun entweder der Signalempfang gestört wird (Jamming) oder die Position plötzlich wegspringt (Spoofing), kommt es im Flugzeug zu Warnmeldungen. Dass es „GPS-Probleme“ auf dem Weg nach Plovdiv gab, bestätigt eine Aufzeichnung des Piloten aus dem Cockpit (hier nachzuhören auf dem dänischen Blog feitoffake). Unklar ist, was für Probleme das genau waren und wie lange sie angehalten haben. Von der Ursache dieser Probleme ganz zu schweigen.
GPS-Ausfälle sind allerdings kein Katastrophenszenario, erklärt Möller: „Im Flugverkehr sind GPS-Störungen in der Regel kein Problem. Wenn das GPS ausfällt, gibt es an Bord Redundanzsysteme, die das abfangen.“
Bleibt die Frage: Gab es denn überhaupt einen GPS-Ausfall?
Flightradar24 sagt, dass die Transponderdaten weder Jamming noch Spoofing zeigen würden. Das Problem: Diese Daten sind zwar gut, aber sie sind nicht perfekt.
„Es ist möglich, dass der Transponder einen kurzen Angriff gar nicht dokumentiert hat“, sagt Möller. In den Daten, die über Flightradar24 zur Verfügung stehen, beträgt die zeitliche Auflösung zwei bis vier Sekunden – ein Jammer könnte aber auch während einer kürzeren Zeitspanne das GPS-Signal gestört haben. Das Flight Management System des Piloten reagiert in diesem Fall viel früher mit einer Warnmeldung.
Für Möller ist eine Jamming-Attacke deshalb weiterhin nicht auszuschließen. Und: „Viele Attacken passieren ungewollt, weil Jammer auch eingesetzt werden, um die eigene Position zu verschleiern“. Das gestörte Signal betrifft dann auch andere Flugzeuge in der Nähe. Gerade in dieser Region passiert das immer wieder.
Ein anderer Experte, Mahmoud Elsanhoury von der finnischen Vaasa University, verweist gegenüber Euronews auch auf sehr ausgefeilte Spoofer, die es so aussehen lassen, als sei ein starkes GPS-Signal vorhanden.
Um wirklich zu wissen, was passiert ist, müsse man das Flight Management System der Maschine auswerten, so Möller. Bis heute bleibt unklar, ob es eine gezielte GPS-Störung gab oder nicht. Klar ist nur: Medien tun sich schwer, diese Unsicherheit auszuhalten. Je nachdem, wo man nachliest, gab es eine „GPS-Störung durch Russland“ (Salzburger Nachrichten) oder eben „doch keinen Sabotageakt der Russen“ (Krone). Nur: Wenn Zwischentöne fehlen, haben jene, die laut „Fake News“ rufen, leichtes Spiel.
- Euronews hat die widersprüchlichen Berichte über eine mutmaßliche Störung des GPS-Signals von von der Leyens Flugzeug hier schön zusammengefasst.
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