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Alarmismus: „Heute“ missbraucht Kindergarten-Studie

„Österreichische Kinder verlernen deutsche Sprache“ titelt die Gratiszeitung Heute am 29. März. In der Sub-Headline heißt es weiter: „In vielen Kindergärten kommen deutsch-sprechende Kinder laut einer Studie unter die Räder.“ Ein „Kindergarten-Schock“ sei das. Angeblich, berichtet Heute weiter, würden laut einer aktuellen Studie österreichische Kinder in Kindergärten mit mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Kindern vergessen, wie man Deutsch spricht.

Das Problem dabei: Die besagte Studie lässt diesen Schluss überhaupt nicht zu.

"Heute" missbraucht Kindergarten-Studie

Kurz zur besagten Studie: Bei dieser wurden die Leitungen von 146 Kindergärten in Tirol, Vorarlberg, der Steiermark und Oberösterreich befragt, in denen die Mehrheit der Kinder nicht Deutsch als Erstsprache haben. Mittels Online-Fragebögen und einigen Interviews sollten so deren „Einstellungen bezüglich Integration, zur Zufriedenheit in verschiedenen Aspekten und zu Herausforderungen“ erhoben werden. Das heißt also: Die Sprachkenntnisse der Kinder wurden gar nicht untersucht.

Liest man die Studie in Hinblick auf die Aussagen im Heute-Artikel fällt auf, dass sie in der Form gar nicht vorkommen. Die Hauptaussage des Heute-Artikels („In Kindergärten mit mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Kindern verlernen sogar die österreichischen Kinder ihre Muttersprache“) wird in der Studie nicht belegt. Stattdessen heißt es auf Seite 37 des Forschungsberichts: „Es konnten keine Studien gefunden werden, die sich explizit mit der Sprachentwicklung […] der Minderheit deutschsprachiger Kinder in Österreichs Kindergärten mit mehrheitlich-nicht-deutschsprachigen Kindern beschäftigt [haben].“ Die Studienautoren verweisen wenige Seiten später erneut auf die bisher fehlenden wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema.

Die „richtigen“ Zitate ausgewählt

Wie kommt Heute also auf die behaupteten Aussagen? Es handelt sich dabei um Zitate von Kindergartenleitungen, die für die Studie interviewt wurden. Man findet Zitate wie: „Unser Ziel ist schon lange nicht mehr die ‚Schulreife‘“ oder „Es ist frustrierend, dass Kinder, die gut Deutsch sprechen, in ihrer Förderung zurückstecken müssen“. Während Heute diese Aussagen als verallgemeinerbare Beschreibung von Zuständen, die „bisher nur hinter vorgehaltener Hand zu hören“ waren, darstellt, handelt es sich in Wahrheit aber nur um Statements einzelner Interviewpartner:innen. In der gleichen Studie finden sich auch folgende Statements, die im Heute-Bericht nicht vorkommen: „Ich liebe meinen Beruf und ich finde die Vielfalt in unserem Haus sehr bereichernd“ oder „Ich kann mir keinen besseren Arbeitsplatz vorstellen, denn hier kann ich jungen Menschen auf die Sprünge helfen!“

Bildungsniveau der Eltern entscheidend

Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben bei Bernhard Koch, einem der Studienautoren, nachgefragt, ob er im Heute-Artikel seine Arbeit korrekt wiedergegeben sieht. Koch schreibt, er könne der Headline und Sub-Headline des Heute-Artikels ebenso wenig zustimmen wie der Aussage: „In Kindergärten mit mehrheitlich nicht-deutschsprachigen Kindern verlernen sogar die österreichischen Kinder ihre Muttersprache.“

Im Kern sagt die Studie also aus, dass für die sprachliche (und auch sonstige) Entwicklung der Kinder vor allem das Bildungsniveau der Eltern entscheidend sei. In Kindergärten, in denen viele Kinder mit anderen Erstsprachen und geringem Bildungsniveau der Eltern zusammentreffen, gebe es demnach die größten Herausforderungen. Besuchten Kinder mit Deutsch als Erstsprache solche Kindergärten, würden sie sprachlich nicht davon profitieren  – dass sie die deutsche Sprache verlernen, sei laut der Studie aber schlichtweg nicht belegt!

Vor diesem Hintergrund mutet einer der letzten Sätze der Studie fast schon wie eine böse Vorahnung an. Dort heißt es nämlich: „Von verschiedenen Seiten […] wurde Sorge über den eventuellen Verwertungszusammenhang mancher Ergebnisse der vorliegenden Studie geäußert“ – eine Warnung, die die Heute-Redaktion wohl überlesen hat.


Wer helfen möchte, damit es in Zukunft noch viel öfter und viel mehr Kobuk-Recherchen gibt: www.kobuk.at/support

Die Opfer sind nicht „pedo“ und die Täter keine „hunters“

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