Es gibt Tage, da merkt man schon beim ersten Blick – es stimmt was nicht, auf dem Boulevard:
Mord, weil Mutter Internet verbot (Österreich, 15.4.2010)
Fernseh-Verbot als Mordmotiv! (Kronen Zeitung, 15.4.2010)
Werden komplexe Sachverhalte in Schlagzeilen gegossen, läuft meist einiges daneben. Allzu einfache Erklärungen, oft widersprüchlich und falsch dazu, sind aber noch der kleinste Kollateralschaden…
Es mag in manchen Redaktionen ungläubiges Staunen hervorrufen, aber jugendliche Opfer und Straftäter genießen vor dem Gesetz einen besonderen Schutz. Über sie dürfen keinesfalls Informationen veröffentlicht werden, die dazu führen, dass sie außerhalb des unmittelbar informierten Personenkreises (wieder)erkannt werden könnten. Es sei denn, das öffentliche Interesse (nicht zu verwechseln mit Neugier) überwöge.
Bei Namen ist noch einigermaßen unstrittig, wie’s geht. Der Familienname wird auf einen Buchstaben gekürzt und der Vorname, sofern nicht allzu ungewöhnlich, ist in der Regel nicht weiter problematisch. Bei Fotos hingegen verhält es sich nahezu umgekehrt. Je tiefer im Boulevard, desto öfter entsprechen die Verfremdungen einem Namen, der lediglich um einen Buchstaben gekürzt wurde.
Und es scheint ja wirklich nicht ganz einfach, hier eine allgemeine Regel zu finden. Viele glauben irrtümlich, ein schwarzer Balken über den Augen reiche. Andere meinen, das ganze Gesicht sei unkenntlich zu machen. Naja, und die ganz Naiven fragen sich, wozu überhaupt ein Foto…?
In Deutschland gibt es seit einem Urteil des LG Hamburg immerhin einen gewissen Orientierungsrahmen, wie korrekte Anonymisierung jedenfalls nicht aussieht. Das Gericht sprach einer Klägerin 25.000 EUR zu, weil sie trotz Pixelung erkennbar gewesen sei. Zitat aus der Urteilsbegründung:
Auf dieser [Aufnahme] sind zwar die Einzelheiten der Gesichtszüge der Klägerin infolge der „Pixelung“ nicht zu erkennen; deutlich zu sehen […] sind aber ihre Kopfform, Ohren, Frisur, Körperhaltung und ihre Kleidung.
(LG Hamburg, 20.10.2006 – 324 O 922/05)
Das LG Hamburg ist zwar berüchtigt für seine rigiden Entscheidungen im Medienrecht, aber dass seine Einschätzung durchaus etwas für sich hat, wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, wie österreichische Medien die Verdächtige im jüngsten Fall in etwa abgebildet haben:
Es handelt sich um nachgestellte Symbolfotos. Die Dame auf dem Bild ist definitiv unschuldig, vermittelt aber vielleicht einen Eindruck, warum „Anonymisierungen“ der gewählten Art nur bedingt zielführend sind.
Weitaus zielführender, wenngleich im negativen Sinne, waren da noch die zusätzlichen Angaben zu Umfeld und Person der mutmaßlichen Täterin:
- Die „Kronen Zeitung“, eher offline orientiert (s. Titelbild), brachte nicht nur das unverfror… unverfremdetste Foto der 14-Jährigen, sondern als Leserservice für Kriminaltouristen auch noch eine Aufnahme des Hauses, in dem die Tat geschah, samt Bezirk und Straßenname(!) in der Bildunterschrift gleich mit dazu. Dass Fotos von Nachbarin und Wirt die Geheimhaltung zusätzlich hintertreiben, ist da schon fast egal.
- „Österreich“, eher online verwirrt, stand dem kaum nach und zitierte gleich über Tage aus den „Hunderten Internet-Blogs“ [sic!] der mutmaßlichen Täterin. Reines Glück, dass Googeln der wörtlichen Zitate nicht auf ihr „geheimes Tagebuch“ [sic!] führt, da die Einträge in einer fremden Sprache verfasst wurden. Aber kein Grund aufzugeben. Zu den Zitaten veröffentlichte das Blatt auch noch zwei verschiedene Pseudonyme, die das „Internet-Mädchen“ [sic!] benutzt hatte — nur die Differentialdiagnostik per geeigneter Suchmaschine blieb noch dem geneigten Leser überlassen.
Natürlich wissen die Blätter, dass dieses Vorgehen wahrscheinlich ein gerichtliches Nachspiel haben wird. Die nachträglichen Zeilen- und Fotohonorare für die vermutlich gestohlenen und ohne Einwilligung veröffentlichten Inhalte, sowie eine angemessene Entschädigung für die Verletzungen der Persönlichkeitsrechte liegen bestimmt schon in der Portokasse bereit.
Foto: Mona L., Wikimedia (gemeinfrei)
5 Kommentar(e)
Da haben wir zeitgleich einen fast themengleichen Artikel geschrieben. Arg ist auch, dass neben Identitäts- bzw. Bildnisschutz auch auf den Schutz der Unschuldsvermutung gänzlich geschi…. verzichtet wird.
Siehe Print-Ausgabe von Österreich, 16. April: „Die 14-jährige Angelika D. hat am Montag Mama Svetlana (37) mit dem Messer erstochen – weil sie nicht mehr ins Internet durfte“. Das verstößt ganz klar gegen § 7b MedienG. Der besagt nämlich, dass der Tatverdächtige weder „als überführt oder schuldig hingestellt oder als Täter dieser strafbaren Handlung […] bezeichnet“ werden darf. Da hilft auch nicht das im Satz zuvor formulierte: „für die die Unschuldsvermutung gilt“
Ich fürchte, du bist nicht auf dem letzten juristischen Stand. Die Unschuldsvermutung gilt in Österreich nur mehr, wenn sie Bestandteil des eigenen Namens ist, wie zB bei Karl-Heinz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ Grasser.
Jetzt frage ich mich allerdings noch, was denn nun stimmt, war es das Internet oder das Fernsehverbot?
@Hans Kirchmeyr: Ok, wo gibt es dazu Urteile? Denn ein Norm – also ein Gesetz – gibt es nicht dazu, welches besagt: „Du musst >Unschuldsvermutung< schreiben."
Und ich wollte ja mit meinem Post auch aussagen: Dass das "es gilt die Unschuldsvermutung" für'n Hugo ist, wenn einen Satz später eiskalt geschrieben wird: "Angelika hat Mutter erstochen." Diese Formulierung ist rechtswidrig. (mal abgesehen vom ethischen Standpunkt!)
Das Problem geschriebener Ironie – bitte an die Satzenden meines letzten Kommentars die hier dazudenken: 😉 😉