Eine Gruppe homophober Schläger verprügelt systematisch junge Männer. Die Gruppe tarnt ihre Hassverbrechen und behauptet, sie würde Pädophile jagen. Medien tappen in die Falle: Sie übernehmen das Framing der Kriminellen viel zu unkritisch und verzerren so, worum es bei den Straftaten wirklich geht. Denn keines der Opfer war tatsächlich pädophil.
„Razzien: Polizei geht gegen Pädophilen-Jäger vor“, berichtet die Kronen Zeitung am Morgen des 21. März 2025. „Laut ‘Krone’-Infos handelt es sich um eine Aktion gegen die sogenannte ‘Pedo-Hunter-Szene’, die Selbstjustiz gegen Kinderschänder vornimmt“, heißt es weiter. Im nächsten Satz zitiert die Krone einen Beamten der Landespolizeidirektion Steiermark, der von Straftaten „unter dem Deckmantel der Selbstjustiz“ und einem „Hate-Crime-Delikt gegen eine bestimmte Personengruppe“ spricht.
Der „Deckmantel der Selbstjustiz“, den die Polizei später wiederholen wird, ist wichtig. Das bedeutet nämlich, dass die Täter Selbstjustiz lediglich als Vorwand nutzten, um ihre eigentlichen kriminellen oder ideologischen Motive zu verdecken. Den Tätern ging es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Hass. Kein einziges Opfer ist der pädophilen Szene zuzuordnen, stellt die Polizei Freitagmittag klar. Und die Täter seien sich dessen „sehr wohl bewusst“ gewesen, betont der stellvertretende Landespolizeidirektor Joachim Huber.
Die Krone überarbeitet ihren Artikel, nennt die Täter im Titel nun „Dating-Jäger” und die Opfer „mutmaßliche Kinderschänder”. Aber reicht das?
Ein „zulässiger Rückschluss“?
Im eingebetteten Krone-Video direkt unter der Headline ist weiterhin von „Pädophilen-Jägern“ die Rede. Und auch auf Servus TV geht an diesem Tag ein Bericht mit dem Titel „Österreich: Razzien gegen Selbstjustiz-Szene” auf Sendung. „Sie sollen ihre Opfer, homosexuelle Männer, brutal zugerichtet haben. Offenbar in der Annahme, es würde sich um Pädophile handeln“, kündigt die Moderatorin den Beitrag an.
Im Beitrag wird behauptet, dass die Täter auf Social Media „Profile als Minderjährige“ erstellt und damit mit „sexuellen Abenteuern“ gelockt hätten. Dass die Täter ihre späteren Opfer „über ‘Fake-Profile‘ auf Datingplattformen zu grundsätzlich nicht strafbaren Treffen“ lockten, weiß man aus der polizeilichen Pressemeldung. Aber wie kommt Servus TV darauf, dass sich die Täter als Minderjährige ausgaben?
Wir fragen bei Servus TV nach. Es zeigt sich: Die Behauptung war reine Spekulation. „Es ist richtig, dass im Pressestatement der Polizei nicht explizit erwähnt wurde, dass es sich bei den erstellten fake-accounts um Profile von Minderjährigen handelt“, gibt der zuständige Redakteur auf Kobuk-Anfrage zu. Warum hat man das dann berichtet? „Unter Berücksichtigung, dass von ‚selbst ernannten pedo-hunters‘ die Rede ist, ist dieser Rückschluss zulässig“, so die Antwort. Man hat also auf jene Bezeichnung vertraut, die sich die Täter selbst geben.
Bei Servus TV rechtfertigt man diesen „zulässigen Rückschluss“ auch mit einer Aussage des Leiters des steirischen Landeskriminalamts Michael Lohnnegger:
[Die Täter] reden sich dann darauf aus, dass beispielsweise, wenn sich eine 20-jährige Person mit einer 15-jährigen Person trifft, das halt auch nicht ihren Moralvorstellungen entspricht (…) und dementsprechend wird’s, ich sag’s ganz einfach, schöngeredet, um diese grausamen Taten für sich selbst verantworten zu können.
Dieser Kontext ist wichtig: Es ist nicht wirklich ein „Jagen“ nach „Pädophilen“. Es ist ein „Schönreden“, eine Selbstrechtfertigung, um auch 20-Jährige zusammenschlagen zu können. Doch im Beitrag von Servus TV wird das auf die reine Annahme, die Täter hätten mit Profilen von Minderjährigen gelockt, reduziert.
Die „umstrittene Bewegung“
Man weiß mittlerweile etwas mehr über bestimmte Fälle aus dieser Serie von Hassverbrechen. So habe in einem Fall der Täter mit einem Fake-Profil sein Alter im Laufe des vermeintlichen Kennenlernens immer weiter nach unten revidiert, berichtet am 28. März das Profil. Am Schluss gab er sich als 13-Jähriger aus, aber auf den Bildern, die dem Opfer vorab geschickt wurden, wirkte er deutlich älter.
In einem anderen Fall trifft sich ein 44-Jähriger mit einer jungen Frau – ob sie sich als 14 oder als 16-Jährige ausgegeben habe, darüber geben Täter und Opfer unterschiedliche Auskunft, steht im Falter. Beides ist jedoch nicht strafrechtlich relevant und der Mann gilt deshalb auch nicht als pädophil. Genauso wurden Männer aber auch mit „Fake-Profilen von eindeutig Nicht-Minderjährigen“ zu vermeintlichen Dates gelockt, berichtet am 2. April die ZiB auf Social Media.
Die Beispiele bestätigen, dass es den Tätern mit ihrer Selbstbezeichnung als „pedo hunters“ in erster Linie um ein „Schönreden“ ging, wie es Lohnegger formuliert hat. Trotzdem schreibt die Kleine Zeitung noch am 1. April, die Opfer seien „vermeintliche Pädophile“ gewesen. Wenn jemand „mutmaßlich“ oder „vermeintlich“ als pädophil gilt, heißt das, dass es auch einen Verdacht dafür gibt. Laut Polizei existiert ein solcher aber nicht. Der Kurier oder die Presse schreiben richtigerweise, dass die Verdächtigen ihren Opfern „fälschlicherweise Pädophilie unterstellt“ haben.
Den Namen „Pedo Hunters“ gaben sie sich selbst in ihren Chatgruppen, um sich vielleicht einer größeren Bewegung zugehörig zu fühlen, vor sich selbst zu rechtfertigen oder zu idolisieren. In den Medien wird diese Selbstbezeichnung übernommen, nicht nur als Hintergrundinformation, sondern als Schlagwort. Für den Exxpress reicht das sogar, um die Schlägergruppe als „umstrittene Bewegung“ zu verharmlosen.
Auch der Falter betitelt seine Hintergrundrecherche vom 25. März online zunächst noch als „Razzia gegen ‚Pedo-Hunter‘: Rechte machen systematisch Jagd auf Schwule“. Man tauscht den Begriff später aus.
Wer diesen Begriff nämlich ständig hört oder liest, bei dem- oder derjenigen bleibt er auch hängen. Man sieht es in den Kommentarspalten auf Social Media. Dort werden Diskussionen darüber geführt, ob ein „Denkzettel“ denn nicht gerechtfertigt gewesen wäre, wenn das nun tatsächlich Pädophile waren. Und wüsste man das denn wirklich? Ein User schreibt: „Sie sagen doch in den Berichten, dass sie Pädophile gejagt haben, was ist daran also falsch zu verstehen.“ Das Problem: Alles daran ist falsch zu verstehen.
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